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(Hotel-)Zimmer für Körper, Sinne und Seele

Coburg und Oberschleißheim, Februar 2020. Würden Sie gerne in einem Zimmer Urlaub machen, das „nach Krankenhaus“ aussieht? Ein Hotelzimmer, das allein nach den DIN-Normen für Barrierefreiheit gestaltet wurde, ist z. B. für Menschen mit Rollstuhl oder Rollator gut benutzbar – aber nicht unbedingt eine Wohlfühloase. Die Folge: Wer nicht zwingend auf Barrierefreiheit angewiesen ist, sucht sich lieber eine andere Unterkunft; die barrierefreien Zimmer stehen häufig leer. Immer mehr Hoteliers setzen deshalb auf Universelles Design. Dieses Konzept verknüpft den größtmöglichen Nutzen für alle mit einer ansprechenden Gestaltung. Professor Rudolf Schricker, Innenarchitekt und Designer, denkt noch weiter. Sein Ziel: Räume, die sich den Menschen anpassen und ihr Wohlbefinden fördern – und Hotels erfreulichen Zulauf bescheren. Erfahren Sie mehr – und machen Sie Ihren persönlichen Wohlfühl-Lichttest!

Motiv: barrierearmes Bad, in magentafarbenes Licht getaucht. Hinweistext: „Mit Wohlfühl-Lichttest“.

Über Professor Rudolf Schricker

Porträtfoto: Rudolf Schricker.

Professor Rudolf Schricker ist Innenarchitekt und Designer. Sein Atelier betreibt er in Stuttgart. An der Hochschule Coburg arbeitet Schricker an der Fakultät für Design u. a. auf den Gebieten „Gestalten + Humanwissenschaft“ und „Der menschliche Raum“. Rudolf Schricker ist akademischer Mentor, Gutachter, Publizist und Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Innenarchitekten (BDIA), dem er jahrelang vorstand.

Meine Meinung

„Bei der humanen Gestaltung geht es nicht darum, was ich als Architekt selbst toll finde. Ich muss meine eigene Vorstellung zurückstellen und mit Feingefühl ergründen, was dem Menschen nützt und sein Wohlbefinden fördert.“

Humane Gestaltung: Was tut dem Menschen gut?

Gebäude, ob aus Stein gebaut, aus Beton gegossen oder aus Holz gefügt, sollen möglichst lange bestehen. Ein Haus mit festen Außenwänden gibt dem Menschen Sicherheit. Ganz anders die Innenräume. Rudolf Schricker nennt sie die „erweiterte Haut des Menschen“. In dieser Haut, sagt Schricker, müssen sich die Menschen wohlfühlen, die in dem Gebäude wohnen, arbeiten, gepflegt werden oder Urlaub machen. Und mehr noch: Diese Haut sollte sich mit dem einzelnen Menschen verändern und entwickeln. „Human“ nennt Schricker eine solche Gestaltung, die sich ganz auf die Bedürfnisse der Menschen ausrichtet.

Wir brauchen eine Innenarchitektur, die schmeckt und auf die Seele wirkt.

Der Innenarchitekt und Designer startete selbst mit einem klassischen Anspruch in seine Laufbahn: „Die Innenarchitektur war früher ganz aufs Auge konzentriert. Der Raum sollte gut aussehen“, schildert Schricker. Ihm öffnete beim Konzerthausbau der Austausch mit Musikerinnen und Musikern die Ohren für die Bedeutung der Akustik – der „Hörsamkeit“, wie Schricker sagt. Während der Arbeit an sozialen Brennpunkten erlebte er, dass eintönige, lieb- und leblose Räume Menschen bedrängen und beklemmen können – bis der Mensch sich aufgibt und verliert. „Eine humane Gestaltung hilft dem sozialen Wohnungsbau, im wahrsten Sinn des Wortes wieder sozial zu wirken.“

Der Mensch, findet Schricker, muss sich in seiner Umgebung entfalten können. In Altenheimen untersuchte Schricker die Wirkung von Licht auf demenzkranke Menschen. Dort lernte er: „Menschen mit Demenz nehmen ihre Umgebung sehr gefühlsbestimmt wahr. Wir müssen diese Gefühle ergründen: Welches Design macht Angst, welches gibt Zuversicht? Welche Lichtstimmung beruhigt oder hellt die Stimmung auf? Wir brauchen eine Innenarchitektur, die schmeckt und auf die Seele wirkt.“

„Meine“ Lichtstimmung: Machen Sie den Test!

Äußere Einflüsse wirken auf unsere Hormone, unsere Stimmung, unser Wohlbefinden. Einen ersten Eindruck vermittelt unsere Bildergalerie. Auf den Fotos sehen Sie ein (barrierearmes) Hotelbadezimmer in verschiedenen Lichtstimmungen. Klicken Sie durch die Galerie und spüren Sie, wie die Lichtfarben auf Sie wirken:

Ein barrierearmes Bad mit WC und Dusche ist in neutral-weißes Licht getaucht.

Auf diesem Bild ist der Raum neutral-weiß ausgeleuchtet. Das klare, helle Licht unterstützt Menschen mit Sehbehinderung – und hilft beim Munterwerden. Das Motto: heiß duschen, kalt duschen, fit für den Tag!

Dasselbe Bad mit dezent rötlichem Licht.

Hier ist der Raum in deutlich „wärmeres“ Licht getaucht. Auf viele Menschen wirkt diese sanft gedämpfte Stimmung behaglich und beruhigend: wie eine Anti-Stress-Dusche aus purem Licht. Morgenmuffeln hilft das warme Licht sanft in den Tag.

Dasselbe Bad mit orangefarbenem Licht.

Warmes Licht erfüllt den Raum; es erinnert an einen Sonnenuntergang im Hochsommer. Riechen Sie die Blumenwiese? Diese Lichtstimmung lädt dazu ein, den Alltag hinter sich zu lassen und Körper und Geist bei einer heißen Dusche zu entspannen.

Dasselbe Bad mit magentafarbenem Licht.

Vor dem Ausgehen in Partystimmung kommen? Das Badezimmerlicht passend zum Lavendel-Duschöl wählen? Alles ist möglich, die Lichtsteuerung regt zum Experimentieren an: Welche Lichtfarbe macht mich hellwach, beruhigt mich, weckt meine gute Laune?

Die vier vorangegangenen Bilder in einer Collage.

Hier sehen Sie alle vier Lichtstimmungen. Mit welcher fühlen Sie sich in diesem Moment am wohlsten? Machen Sie einen Selbsttest: Klicken Sie noch einmal zu einer anderen Tageszeit durch die Bildergalerie. Entscheiden Sie sich dann für eine andere Lichtstimmung?

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Der Mensch gestaltet seinen Raum

Doch was „schmeckt“ wem? „Der einzelne Mensch verändert sich ständig“, sagt Rudolf Schricker. „Er ist nicht immer gleich drauf.“ Licht, Farben, Klänge (oder Stille), Düfte und Tasteindrücke können unsere Stimmung beeinflussen. Beim einen weckt Sonnenaufgangslicht ein gutes Gefühl, beim zweiten die Farbe Rot, beim dritten Orangenduft, Meeresrauschen oder der Kontakt mit natürlichen Materialien wie warmem Holz, seidenglatten Kieseln oder kuscheliger Wolle. Jeder Mensch reagiert anders auf bestimmte Einflüsse – und auch nicht immer gleich. Deshalb setzt Schricker auf Räume, die jeder Mensch für sich verändern kann. Und zwar jeden Tag, jede Stunde aufs Neue.

Dabei hilft moderne Technik. Sie kann jede gewünschte Lichtstimmung erzeugen: vom frischen Morgenlicht bis zum behaglichen Abenddämmern, vom neutralen Arbeitslicht bis zum spannenden Lichtdrama. Für die Gestaltung von Krankenhäusern werde erforscht, wie Licht und auch Düfte beim Gesundwerden helfen, erzählt Rudolf Schricker. Auch wie Klänge den Raum erfüllen, z. B. gedämpft oder hart und klar, lässt sich steuern. „Technisch ist das schon toll entwickelt, aber sehr komplex.“ Die Industrie müsse die Bedienbarkeit ihrer Produkte verbessern, fordert Schricker. „Moderne Produkte müssen sich selbst erklären. Alle Menschen, ob jung oder alt, sollten sie einfach nutzen können.“

Hotel & Care: „Hotel“ sehen, „Care“ erleben

Aus der Hotelbranche erreichte Rudolf Schricker vor einigen Jahren die Frage, wie man Hotelzimmer attraktiv für alle Menschen gestalten könne, mit und ohne Behinderung, jung und älter, fit oder erholungsbedürftig. Diese Herausforderung fand Schricker spannend. In Oberschleißheim bei München entdeckte der Designer einen Partner: das Hotelkompetenzzentrum, das in einer Dauerausstellung u. a. voll ausgestattete und funktionsfähige Hotelzimmer zeigt. Wie auf einer Messe können sich Profis aus dem Gastgewerbe hier Anregungen holen und Kontakt zu den Herstellern aufnehmen. Gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum und zahlreichen Herstellern entwickelte Schricker das Konzept „Hotel & Care“: Hotelzimmer, die

  • komfortabel und barrierearm gestaltet und ausgestattet sind,
  • bei Bedarf Raum bieten für Therapie und Pflege,
  • ganz nach „Hotel“ aussehen und kein bisschen nach „Care“,
  • jeder Gast nach seinen Wünschen und Bedürfnissen z. B. mit Licht gestalten kann.

Schrickers Ziel: das Hotelzimmer als „temporäre Heimat“, in der sich Menschen wohl und ernst genommen fühlen. In denen nichts sie einschränkt oder stresst. In denen Körper und Geist zur Ruhe kommen oder Anregung finden können. In denen sie an grauen Tagen die Sonne aufgehen lassen können. Und in denen sie, so Schricker, „die Waffen ablegen und sich niederlassen.“

Aha!

Auch kleinere Hotels können barrierefreie Zimmer so attraktiv gestalten, dass sich alle Gäste rundum wohlfühlen. Kostenlose Information und Orientierung bietet die Beratungsstelle Barrierefreiheit. Beraten lassen können sich Hoteliers genauso wie Profis aus Architektur und Handwerk.

„Hotel & Care“ ist ein Konzept, das sich stetig entwickelt. Noch wartet Rudolf Schricker auf einen Hotelier, der „Hotel & Care“ in großem Maßstab umsetzt, barrierefrei, attraktiv gestaltet und veränderbar durch die Menschen, die in den Zimmern vorübergehend ihre Heimat finden. Dort könnte dann auch die Wirkung eines „Healing Environments“ (deutsch: „heilsame Umgebung“) umfassend wissenschaftlich erforscht werden.

Großes Hotelzimmer mit Doppelbett.

„Hotel & Care“-Zimmer – wie hier im Hotelkompetenzzentrum Oberschleißheim – bieten mehr Platz: zum Rangieren mit Rollstuhl oder Rollator, fürs Kinderbettchen, für den Blindenführhund – oder die Yoga-Übungen. Die Wände sind bewusst neutral gehalten. Sie wirken wie „Leinwände“, auf denen die Gäste ihre persönliche Lichtstimmung gestalten können.

Sitzecke mit künstlichem Kaminfeuer.

Das Kaminfeuer besteht aus Kunststoffscheiten. Orangefarbenes Licht verbreitet eine wohlige Atmosphäre. Und sogar „Rauch“ steigt auf. Der wird gesundheitsfreundlich mit Wasserdampf erzeugt. Der Eindruck: „hyggelig“ – gemütlich, behaglich, entspannt.

Holzvertäfelte Nische mit Badewanne.

Badewannen mitten im Hotelzimmer sind trendy. Diese hier bietet mehrfachen Nutzen. Deckt man sie mit den Lederpolstern ab, entsteht eine Liege. Hier kann man nicht nur nach dem Bad relaxen; sie eignet sich auch (eingeschränkt, da nur von einer Seite zugänglich) für Pflege- und Therapieanwendungen.

Behindertengerechtes WC hinter Doppel-Schiebetür.

Abgetrennt durch eine breite Schiebetür: die behindertengerechte Toilette. Auch ältere Menschen und Familien mit kleinen Kindern schätzen höhenverstellbare WC-Schüsseln. Holzboden und Holzvertäfelungen bringen auch hier Natur in den Raum.

Höhenverstellbares Waschbecken.

Das Waschbecken ist höhenverstellbar. Praktisch für kleine und große Leute und für alle, die sich im Sitzen die Hände waschen oder Zähne putzen.

Höhenverstellbares Waschbecken.

Die Dusche ist großzügig bemessen. Wer nicht lange stehen kann, nutzt den Klapphocker an der Wand. Auch mit Dusch-Rollstuhl kann man sich bequem bewegen und alle Armaturen erreichen.

Ein Mann mit Fernbedienung vor einem geöffneten Kleiderschrank.

Stauraum bietet das große „Hotel & Care“-Zimmer in Steh- und Sitzhöhe. Praktisch für kleine Menschen und Gäste im Rollstuhl: eine Kleiderstange, die sich per Fernbedienung nach unten absenken lässt.

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