Universelles Design: alle Menschen im Blick

Ein Busticket kaufen, ohne vorab das Tarifsystem zu studieren. Im Schwimmbad Bewegungsfreiheit in jeder Umkleidekabine genießen. Alle Waren in einem Geschäft ohne fremde Hilfe erreichen. Universelles Design heißt: Produkte, Dienstleistungen und Umgebungen sind so gestaltet, dass möglichst viele Menschen sie einfach nutzen können.

Was ist Universelles Design?

Die Idee des Universellen Designs kommt ursprünglich aus den USA. Dort prägte der Architekt und Designer Ronald Mace den Begriff „Universal Design“ in den 1980er Jahren. Er war selbst Rollstuhlfahrer und setzte sich dafür ein, die bauliche Umwelt für viele Menschen einfacher zu gestalten. 

Was „universell“ gestaltet ist, soll möglichst vielen Menschen gleichermaßen dienen. Entsprechende Produkte sind nützlich und decken einen wichtigen Bedarf. Sie sind einfach zu verstehen und zu verwenden. Und wenn es sich um Gegenstände handelt, dann sind sie zudem ansprechend gestaltet, liegen gut und sicher in der Hand und fühlen sich angenehm an. 

Das Konzept des Universellen Designs findet sich auch in der UN-Behindertenrechtskonvention wieder. Die dortige Definition des Begriffs besagt, dass entsprechend gestaltete Produkte, Umfelder, Programme und Dienstleistungen möglichst weitgehend ohne zusätzliche Technik oder Anpassungen von allen Menschen genutzt werden können. Das schließt aber auch ein, dass Menschen diese Produkte mit unterstützenden Technologien oder Hilfsmitteln nutzen können, wenn eine direkte Nutzung nicht möglich ist. 

Nutzergruppe: möglichst viele Menschen

Universelles Design soll Produkte und Dienstleistungen, Prozesse und Systeme für möglichst viele Menschen einfach nutzbar machen. Das bedeutet zum Beispiel:

  • Man versteht intuitiv, wie etwa ein Gerät oder ein Computerprogramm zu bedienen ist. Intuitiv heißt: Das Produkt, das Gerät oder das Programm erklären sich von selbst, man muss nicht lange in der Bedienungsanleitung blättern oder nach Erklärungen suchen.
  • Man kann das Produkt ohne großen Kraftaufwand nutzen.
  • Man bekommt eine Rückmeldung und sieht, hört und/oder spürt, dass man zum Beispiel die richtige Taste gedrückt hat.
  • Gegebenenfalls ist das Produkt so gestaltet, dass zum Beispiel links- und rechtshändige Menschen oder Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung es gleich gut benutzen können.

Einfach gute Produkte – vom Toaster bis zum Tarifplan

Das theoretische Konzept des Universellen Designs lässt sich gut an Beispielen aus der Alltagswelt erklären: Ein „Toaster für alle“ etwa hat wenige Tasten und Hebel. Die Aufgabe jeder einzelnen Taste ist eindeutig – zum Beispiel durch ihre Position am Gerät und/oder ein erklärendes Symbol. Ist eine Taste beschriftet, dann mit einem einfachen Begriff wie „Start“ oder „Stopp“. Die Tasten sind groß und gut zu erreichen; sie rasten spür- und hörbar ein. Ein solcher Toaster ist solide gebaut. Geht ein Teil kaputt, kann man es ersetzen und muss nicht das gesamte Gerät entsorgen. Kurzum: Ein solcher Toaster ist kein kurzlebiges Modeprodukt, sondern schafft einen dauerhaften Mehrwert. Bei der Entwicklung hat sich die Designerin oder der Designer überlegt, wie verschiedene Menschen einen Toaster bedienen und welche Funktionen ihnen wichtig sind.

Nicht nur Gegenstände können universell gestaltet werden, sondern auch ganze Systeme – etwa das Tarifsystem von öffentlichen Bahnen und Bussen. Wie das geht, zeigen Beispiele aus New York und Tokio: Dort können Fahrgäste einfach eine Chipkarte mit einer bestimmten Summe aufladen, am Drehkreuz-Eingang zu jeder Station einstecken – und losfahren. Viel Zeit verschwenden mit dem Studium von Tarifplänen? Nicht nötig! Aus Versehen schwarzfahren? Unmöglich! 

Attraktive Produkte sprechen für sich 

Universelle Produkte tragen meist kein spezielles Etikett – aus gutem Grund. Sie sollen bewusst keine besondere Zielgruppe ansprechen und dieser damit einen besonderen Unterstützungsbedarf zuschreiben. Das ist eine Frage der Haltung gegenüber Nutzerinnen und Nutzern mit Einschränkungen. Es ist aber auch eine Frage der Vermarktung: Das „Seniorenhandy“ spricht möglicherweise weniger Käuferinnen und Käufer an, als das Handy, das solide und besonders gut und einfach zu bedienen ist. Kurzum: Universelle Produkte sollen keine Nischenprodukte sein, sondern Vorzüge für viele Menschen bieten.  

Villeroy & Boch AG, Mettlach, Deutschland

Einfach und elegant: Der Henkel der universell gestalteten Tasse ist unten offen und damit leicht zu greifen. Er ist belastbar und wird dank Wärmedämmung nicht heiß. Der leicht ausgestellte Becherrand erleichtert das Trinken. Und im Schrank lassen sich die Tassen sicher stapeln. Das Produkt wurde vor Markteinführung von älteren Menschen getestet, ist aber nicht als „Geschirr für Pflegefälle“ erkennbar. 

Villeroy & Boch AG, Mettlach, Deutschland

Der tiefe Teller, „Komfortteller“ genannt, unterstützt Menschen mit eingeschränkter Motorik – mit einer hohen, steilen Seitenwand, einer Abstreifkante und einem zur Mitte hin gewölbten Boden. All diese schlauen Details sieht man dem Geschirr nicht an. Doch wer es benutzt, kann die Suppe bis zum letzten Löffel genießen – ob die Hand kräftig oder schwach, ruhig oder zittrig ist. 

Wie entsteht Universelles Design?

Ob Waschmaschine, Handy oder Geschirrserie: Von der Idee zum marktreifen Produkt ist es ein weiter Weg. Im Universellen Design ist er oft noch etwas weiter. Der Prozess beginnt damit, die Menschen, die einen Raum, ein Produkt oder eine Dienstleistung nutzen sollen, genau zu beobachten, ihnen Fragen zu stellen, ihre Gewohnheiten zu erfassen und auszuwerten. Nur wenn die Bedürfnisse künftiger Nutzerinnen und Nutzer berücksichtigt werden, kann das spätere Produkt diese gut erfüllen.

Kreative Ideen aus dem Handwerk 

Ideen für Produkte, die von Menschen für Menschen gemacht sind, entstehen zum Beispiel in der Akademie für Gestaltung und Design der Handwerkskammer (HWK) München und Oberbayern. Wer eine Ausbildung in einem Handwerksberuf abgeschlossen hat, kann sich an dieser bayernweit einzigartigen Einrichtung in Vollzeit oder berufsbegleitend weiterbilden: zur Gestalterin oder zum Gestalter im Handwerk. 

Viele Abschlussarbeiten an der Akademie folgen dem Gedanken des Universellen Designs. Dabei gehen die Handwerkerinnen und Handwerker unterschiedliche Wege. Die einen überlegen, wie sie Produkte für Menschen ohne Einschränkungen für alle nutzbar machen können. Die anderen entwickeln Produkte für Menschen mit Behinderung so weiter, dass sie genauso gut aussehen wie funktionieren. So entstanden an der Akademie unter anderem eine universelle Umkleidekabine, die alle Menschen bequem nutzen können, sowie ein Besteckset mit rundlichen Griffen aus Walnussholz, das auch bei eingeschränkter Motorik gut in der Hand liegt und zugleich ästhetisch ansprechend ist.

Christine Annau

Selbst essen, nicht gefüttert werden: Das ist für Menschen mit stark eingeschränkter Feinmotorik eine Frage der Autonomie und Würde. Die dicken, rundlichen Griffe sind bei jedem Besteckteil gleich. Der obere Teil von Messer, Gabel und Löffel kann dagegen je nach Bedarf in unterschiedlichen Winkeln angebracht werden.

Ideen und Industrie zusammenbringen

Doch was passiert mit den vielen tollen Produktideen? Oft mangelt es den jungen Gestalterinnen und Gestaltern an Zeit, nach ihrem Abschluss, meist berufsbegleitend, einen Herstellungs- oder Vertriebspartner zu suchen. Hier können starke Partner weiterhelfen – wie etwa das Institut für Universal Design mit Sitz in München und Hannover. Die Einrichtung wurde 2016 von Thomas Bade gegründet mit dem Ziel, die Philosophie des Universellen Designs stärker und nachhaltiger in Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft zu etablieren. 

Das Institut setzt sich dafür ein, dass Vielfalt bei der Entwicklung von Produkten, Dienstleistungen, Umgebungen und Prozessen von Beginn an mitgedacht wird. Es fördert den Austausch und die Vernetzung von Akteuren, etwa durch Veranstaltungen, Ausstellungen und den jährlichen Universal Design Award.  

Wer universelle Produkte herstellen möchte, muss auch universell denken und handeln. Das bedeutet, Nutzerinnen und Nutzer in die Entwicklung einzubeziehen, und genauso, die Arbeitsprozesse in der Herstellung auf eine älter werdende Arbeitnehmerschaft zuzuschneiden.

Und genau deshalb müssen wir Universelles Design auch zum Ausbildungsinhalt machen, im Ingenieursstudium genauso wie im Handwerk, im Management genauso wie in der Kundenbetreuung.

Thomas Bade ist Gründer des Instituts für Universal Design.

Nutzende als Co-Designerinnen und Co-Designer

Als Ansatz im Universellen Design hat sich bewährt, die späteren Nutzerinnen und Nutzer eng in die Entwicklung eines Produkts oder einer Leistung einzubeziehen. Schließlich können sie am besten beschreiben, was ihnen den Alltag erschwert beziehungsweise erleichtert. Sie können ihren Bedarf formulieren und entstandene Prototypen auf Praxistauglichkeit testen. Designerinnen und Designer nutzen diese wertvollen Informationen, um die optimale Funktion, die beste Form und einen ansprechenden Look zu kreieren. 

Beispiel aus der Praxis: Arbeitsumgebung inklusiv gestalten 

Ein Arbeitsplatz zum Wohlfühlen: Dazu gehören viele Aspekte, von der praktischen Ausstattung bis hin zum ansprechenden Design. Für Arbeitgebende zahlt es sich aus, ein Ohr für die Bedürfnisse und Ansprüche ihrer Beschäftigten zu haben. Das zeigt das Beispiel der Münchner Firmenzentrale des forschenden Pharmaunternehmens MSD Sharp & Dohme GmbH. 

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten bei der Planung des Neubaus Ideen und Wünsche für die Gestaltung ihrer künftigen Arbeitsumgebung einbringen. So entstand ein modernes Bürogebäude, das über die gesetzlichen Standards der Barrierefreiheit hinaus Inklusion im Arbeitsalltag ermöglicht. Die entwickelten Lösungen sind dabei nicht nur praktisch, sondern auch stilvoll gestaltet – und vereinen so die zentralen Aspekte Universellen Designs. Für sein außerordentliches Engagement wurde das Pharmaunternehmen MSD mit dem Signet „Bayern barrierefrei“ ausgezeichnet.

Auf einen Blick: Universelles Design

  • Universelles Design (auch: Design für alle, Universal Design) ist ein Prozess.
  • Ziel sind Produkte oder Dienstleistungen, Räume oder Gebäude, die alle (bzw. möglichst viele) Menschen problemlos nutzen können.
  • „Produkte für alle“ sehen nicht wie Hilfsmittel aus. Sie stempeln ihre Benutzerinnen und Benutzer nicht als „(Hilfe-)Bedürftige“ ab. Sie sind attraktiv gestaltet, solide und haltbar und können repariert werden.
  • Universelles Design bezieht die künftigen Nutzerinnen und Nutzer in die Entwicklung und Erprobung mit ein.
  • Universell gestaltete Produkte entstehen im Handwerk genauso wie in der Industrie.
  • Alles kann universell gestaltet werden: ein Handy genauso wie ein Tarifsystem für Bus und Bahn, ein Spiel genauso wie ein Badezimmer.

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