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Besser zu Fuß in Dinkelsbühl
Dinkelsbühl, November 2016. In Dinkelsbühls Altstadt drosselt Kopfsteinpflaster den Gang auf Bummeltempo. Hier wachsen ein paar Blümchen zwischen den Steinen, dort flaniert eine Katze; alle Hektik scheint weit entfernt. Jeden Schritt und Tritt der Geschichte haben sich die Kopfsteine eingeprägt. Doch die Pflasterung, die so viel Flair verströmt, ist eine Stolperfalle für alle, die nicht gut gehen oder sehen können. Schönheit oder Sicherheit? In Dinkelsbühl will man beides vereinbaren und – buchstäblich – neue Wege erschließen. Wir haben Akteure getroffen und waren mit dem Stadtbaumeister auf Pflastertour!
Über Dinkelsbühl
Dinkelsbühl liegt in Mittelfranken, im Landkreis Ansbach. 1825 wurde der Urkataster der Stadt – ein Verzeichnis aller Grundstücke – angelegt. Er ist noch heute weitgehend aktuell, der Bestand der Altstadt blieb über die Jahrhunderte fast unverändert. Knapp 12.000 Menschen leben in der Großen Kreisstadt, jeder fünfte ist älter als 65 Jahre (Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik, Statistik kommunal 2015, Große Kreisstadt Dinkelsbühl, Seite 6 und 7). Während junge Familien sich bevorzugt in Neubaugebieten ansiedeln, leben viele der älteren Menschen im historischen Stadtzentrum.
„Schönste Altstadt Deutschlands“
Dinkelsbühl blickt auf eine lebhafte Geschichte zurück. Mal herrschten Katholiken, mal Protestanten; mal marschierten aus Norden die Preußen ein, mal aus Westen die napoleonischen Truppen. Epochen vergingen, Dinkelsbühl blieb bestehen, von keinem Kanonenhagel zerschlagen, von keiner Bombe verwüstet. Eine Perle mittelalterlicher Baukunst reiht sich an die nächste. Umkränzt ist das makellose Ensemble von einer Festungsmauer und Wehrtürmen, aus deren Scharten noch heute Kanonenrohre ragen. Dinkelsbühl ist eine beliebte Station der Romantischen Straße, die zwischen Würzburg und Füssen herausragende Sehenswürdigkeiten verbindet. 2014 kürte das Magazin „Focus“ die Dinkelsbühler Altstadt zur schönsten in Deutschland. 2015 verzeichnete die Stadt mit mehr als 130.000 Übernachtungsgästen einen Besucherrekord.
Spazierstock und Bequemschuh
Wie vielerorts steigt in Dinkelsbühl der Altersdurchschnitt der Bevölkerung zügig. Auch die Gäste, die den Ort besuchen, werden nicht jünger. Spazierstöcke und Bequemschuhsohlen suchen Halt im Auf und Ab der Pflasterlandschaft. Ludwig Schmelz, 1. Vorsitzender des Seniorenbeirats, und Andreas Schirrle, Behindertenbeauftragter von Dinkelsbühl, treiben den Abbau von Barrieren in ihrer Stadt mit voran. Barrierefreiheit, betont Ludwig Schmelz, sei auch ein Wirtschaftsfaktor. „Was nützt uns der Tourist, der nur auf den Boden schaut, damit er nicht hinfällt?“ Für Andreas Schirrle, selbst stark sehbehindert, bedeutet Barrierefreiheit: „Weitgehend selbstständig den Alltag meistern und am öffentlichen Leben teilhaben können – auch im ländlichen Raum, auch im historischen Stadtkern. Es kann nicht Ziel einer Kleinstadt sein, dass Menschen mit Behinderung in die nächste Großstadt ziehen.“ Beim Abbau von Barrieren setzt er auf „Konsens statt Nonsens. Wir können nur zusammen etwas erreichen.“
Was nützt uns der Tourist, der nur auf den Boden schaut?
In Dinkelsbühl wurde schon allerhand erreicht; die Liste barrierefreier Gebäude und Routen in der Stadt wird stetig länger. Mehrere Minuten braucht Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer, um sie vorzustellen. Das Neue Rathaus, erbaut im 18. Jahrhundert, ist inzwischen barrierefrei erschlossen, genauso das Haus der Geschichte, der Weinmarkt im Herzen der Altstadt und, seit Herbst 2016, die Jugendherberge. Mit der Beratungsstelle Barrierefreiheit in Ansbach arbeitet die Stadt eng zusammen. Menschen mit Behinderung bezieht sie in die Planung und Prüfung ein. Das begrüßt Seniorenvertreter Ludwig Schmelz: „Es ist schwierig, sich einzufühlen, wenn man nicht selbst auf Barrierefreiheit angewiesen ist.“ Landrat Dr. Jürgen Ludwig hat in der Dinkelsbühler Altstadt schon Erfahrung aus erster Hand gesammelt: „Beim Schieben des Rollstuhls meines Vaters habe ich erkannt, wie wichtig abgesenkte Bordsteine beim Überqueren der Straße sind.“
Damit künftig alle Menschen Dinkelsbühl noch schöner, aber keinesfalls umwerfend finden, steht auch die Barrierefreiheit der öffentlichen Wege weit oben auf der Agenda. Kommen Sie mit zur Pflastertour mit Stadtbaumeister Holger Göttler:
Bildergalerie: auf zur Pflastertour!
Signet „Bayern barrierefrei“ für Dinkelsbühl
Für die vorbildliche Verbindung von Denkmalschutz und Barrierefreiheit überreichte Ministerialdirektor Michael Höhenberger, Amtschef des Bayerischen Sozialministeriums, 2016 das Signet „Bayern barrierefrei – Wir sind dabei!“ an Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer. „Wer nur vom Charme vergangener Jahrhunderte lebt und dabei die Gegenwart vernachlässigt, schließt viele Bewohner und Besucher aus der Altstadt aus. Denn hier ist Barrierefreiheit besonders wichtig – nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch für Eltern mit Kinderwagen oder Gäste, die mit einer Gehhilfe oder einem Rollstuhl unterwegs sind“, begründete Höhenberger die Auszeichnung.