Auch beim Thema Klimawandel herrscht ein neues Bewusstsein. Für die Barrierefreiheit müssen aber oftmals Flächen versiegelt werden, außerdem erfordert sie oft mehr Raum, der in Städten ohnehin knapp ist. Gibt es einen Zielkonflikt zwischen Barrierefreiheit und Klimaschutz?
Prof. Lydia Haack: Den Zielkonflikt sehe ich nicht, es können noch so viele Flächen entsiegelt werden und trotzdem kann Barrierefreiheit hergestellt werden. Sich den Herausforderungen unserer Zeit ganzheitlich zu stellen und viele Seiten zu berücksichtigen, ohne sie gegeneinander auszuspielen, ist unsere Aufgabe. Der taktile Bereich ist in der Barrierefreiheit besonders wichtig. Natürlich fällt es den Menschen auf einer unebenen oder nicht befestigten Fläche mit dem Rollstuhl schwerer, mobil zu sein. Wir müssen weiter prüfen, welche Beläge barrierefrei und gleichermaßen versiegelungsoffen sind. Ebenso wichtig ist, dass wir schauen, was schon da ist und wie die bestehenden Strukturen im Sinne der Barrierefreiheit genutzt oder umgenutzt werden können, um nicht mehr so viele Ressourcen zu entnehmen und diese möglichst lange im Kreislauf zu halten. Ein wichtiger Bereich, der uns manchmal vor erhebliche Herausforderungen stellt, ist das Bauen im Bestand, ein immens wichtiges Thema in Zeiten des Klimawandels.
Die Baubranche verbraucht bislang sehr viele Ressourcen und recycelt wenig, es gibt eine gängige Praxis von Abriss und Neubau. Bestandsbauten umzubauen, anstatt sie abzureißen und etwas Neues zu planen, spart große Mengen CO2 ein.
Prof. Lydia Haack: Es ist sehr wichtig, dass wir unsere Verantwortung als Architektinnen und Architekten aller Fachrichtungen dahingehend wahrnehmen und Räume gestalten, die klima- und erdschonend sind, Veränderungen standhalten und auch für künftige Generationen, ob mit oder ohne Beeinträchtigungen lebenswert sind. Mit dem Leitbegriff der Bayerischen Architektenkammer, der KlimaKulturKompetenz, wollen wir die Verantwortung für unser Handeln wahrnehmen und die ökologische Transformation im Bauen und Planen voranbringen. Ein Baustein dafür ist die Umbaukultur. Während Barrierefreiheit bei Neubauten selbstverständlich verwirklicht und von vornherein mitgedacht wird, müssen bei Gebäuden mit einer alten Bausubstanz Lösungen gefunden und manchmal auch Kompromisse geschlossen werden.
Dr. Jörg Heiler: In KlimaKulturKompetenz steckt neben der Kultur, also einer inklusiven, sozialen Komponente, eben auch die Kompetenz, das heißt, es braucht Entwurfsideen und individuelle Lösungsansätze. Um die Barrierefreiheit in Bestandsbauten zu integrieren, ist es nicht immer möglich, streng nach DIN-Norm zu arbeiten. Im Bestand müssen wir in Kauf nehmen, dass Abstände mal ein kleines bisschen anders sind oder eine Rampe etwas länger ist.