Zugegeben, der Barrierenwald auf unserem Foto veranschaulicht die zahllosen Zollschranken in der Region um Dinkelsbühl im 18. Jahrhundert. Doch er könnte auch ein Symbol sein für die Barrieren, die im Dinkelsbühler Haus der Geschichte genau dies sind: Geschichte! Früher mussten die Besucherinnen und Besucher treppauf und stufab durch das historische Gebäude steigen. Menschen mit Gehbehinderung scheiterten schon an den Stufen zum Eingang. Heute erfahren Menschen mit Rollator, Rollstuhl oder Kinderwagen den gesamten Rundweg barrierefrei.
Erstmals erwähnt wurde das Gebäude im 14. Jahrhundert als Sitz zweier Patrizierfamilien. Von 1550 bis 1855 diente es als Rathaus. Deshalb nennen es die Dinkelsbühler bis heute „Altes Rathaus“; das Barockgebäude, in dem Bürgermeister, Stadtrat und Verwaltung sitzen, heißt „Neues Rathaus“. Sie sehen: „Alt“ und „neu“ sind in historischen Städten wie Dinkelsbühl sehr dehnbare Begriffe! Heute beherbergt das Gebäude das Haus der Geschichte.
„Faszination Dinkelsbühl“
Als freie Reichsstadt war Dinkelsbühl ein halbes Jahrtausend lang nur dem Kaiser untertan. Der Konfessionsstreit, der Dreißigjährige Krieg und die Napoleonischen Kriege haben das Leben der Dinkelsbühler Bürgerinnen und Bürger geprägt. Unter dem Motto „Faszination Dinkelsbühl“ macht das Haus der Geschichte die wechselvolle Stadtgeschichte auf vielfältige Weise erlebbar.
Barrieren abzubauen in jahrhundertealten Gebäuden: Das ist viel, viel schwieriger, als barrierefrei neu zu bauen. 600 Jahre alt und 100 Prozent barrierefrei: Das ist kaum möglich. Die historischen Bauweisen, der Denkmalschutz und nicht zuletzt die hohen Kosten setzen den (Um-)Bauherren immer wieder Grenzen. Der besondere Stil, die Atmosphäre und der Charme der Bauten sollen erhalten werden, erlebbar bleiben – sie sind schließlich ein Grund, historische Gebäude zu besuchen. Dieses Abwägen zwischen unverfälschtem Raumerlebnis und Nutzbarkeit für möglichst viele Menschen ist im Dinkelsbühler Haus der Geschichte gut gelungen. Besonders geachtet wurde auf die Bedürfnisse von Menschen mit Gehbehinderung. Damit ist das Haus der Geschichte nun auch eine attraktive Station für die vielen älteren Besucherinnen und Besucher der Stadt.
Bildergalerie: Machen Sie einen Rundgang!
Auf den ersten Blick gibt sich das Haus der Geschichte wenig zugänglich. Die Stufen zum Haupteingang konnten nicht mit einer Rampe überbrückt werden.
Doch gleich ums Eck geht’s stufenlos weiter. Auch Menschen, die es weniger zur Stadtgeschichte drängt als zum stillen Örtchen, kommen hier barrierefrei ans Ziel. Die Toilette liegt außerhalb des Museums und steht allen zur Verfügung.
Zum barrierefreien Eingang gelangen Besucherinnen und Besucher durch den Innenhof. Das Rechteck in der Hofmitte ist mit den traditionellen Steinen gepflastert. Eingefasst ist es von einem breiten Plattenweg. Er ebnet den Zugang zur Behindertentoilette (graue Tür im Bild oben rechts) und zur Eingangstür (unten links, nicht sichtbar).
Apropos Toilette: Bitte nicht verwechseln! Mittelalterliche Gefängniszellen sind nicht barrierefrei und auch sonst nicht sonderlich komfortabel.
Bitte klingeln! Der barrierefreie Zugang zum Haus der Geschichte liegt ebenerdig im Innenhof. Hier öffnet sich das Gebäude für Menschen mit Gehbehinderung, Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer oder Familien mit Kinderwagen.
Viele ältere Menschen sind eigentlich noch ganz gut zu Fuß, vermeiden aber Museumsbesuche. Die weiten Wege, das langsame Gehen und viele Stehen erleben sie als mühsam und schmerzhaft. Seit das Haus der Geschichte barrierefrei umgestaltet wurde, können sie die Ausstellung im Leihrollstuhl erfahren. Er steht bei den Schließfächern direkt am barrierefreien Eingang bereit. Gleich daneben hält der Lift. Er erschließt Menschen mit Gehbehinderung, Rollstuhl oder Kinderwagen das Gebäude und ist auch auf Besucherinnen und Besucher mit Sehbehinderung zugeschnitten.
Stufen gibt es auf dem Rundgang durchs Haus der Geschichte nur noch, um Ausstellungsstücke in Szene zu setzen (hier übrigens Formbretter für Stiefelstrümpfe aus dem 19. Jahrhundert. Die dicken, dicht gewirkten Strümpfe wurden oft besohlt und so pflastertauglich gemacht). Eine lang gezogene Rampe aus dunklem Holz wurde über die gesamte Flurbreite eingefügt, als habe sie schon der Baumeister im Mittelalter genau so geplant.
Hier zieht sich die Bodenschräge vom Flur bis in den Ausstellungsraum. Hinter einem Geländer sind historische Geräte zu sehen. Ob zu Fuß oder im Rollstuhl: Der Raum öffnet allen Besucherinnen und Besuchern interessante Einblicke.
In vielen Räumen stehen stabile, leichte Holzhocker parat. Die Besucherinnen und Besucher können sie überall hinstellen, wo sie eine Pause einlegen oder eine Szene ganz genau und ganz entspannt betrachten möchten. Mit ihrer schlichten Form fügen sich die Hocker in jedes Jahrhundert und jede Szenerie.
Heiliges Kanonenrohr! Diese Kanone aus dem Dreißigjährigen Krieg zielt auf ein Bildnis des schwedischen Königs Gustav II. Adolf im Lederwams.
Zu Fall kam jedoch, jedenfalls im Museum, ein bürgerlicher Zivilist. Als das Museum nach der barrierefreien Umgestaltung festlich wiedereröffnet wurde, stürzte ein Besucher in den Schacht mit den Kanonenkugeln. Viel Blut, doch zum Glück keine ernsthafte Verletzung. Seither ist die Vertiefung mit einem Geländer gesichert. Wir lernen: Manche Barrieren sind ein Segen. Und: Barrierefreiheit ist eine Gratwanderung und ein stetiger Erfahrungs- und Lernprozess.
Kleine Rampe, große Wirkung: Aus der (Hemm-)Schwelle zwischen zwei Museumsräumen wurde ein barrierefreier Übergang.
Die Türen im Haus der Geschichte haben keine elektrischen Öffner. Menschen mit Rollstuhl sind auf eine Begleitperson angewiesen, die sie aufziehen. Kein Problem, heißt es im Museum. Gäste mit Behinderung seien immer mit Angehörigen, Freunden oder einer Gruppe unterwegs. Damit sich Kinder nicht die Nasen stoßen, sind die Glastüren in Kinderhöhe mit dem Konterfei von Landsknecht Mathis verziert.
Diese Barrieren halten niemanden mehr auf. Sie stehen sinnbildlich für die zahllosen Zollschranken, die die Gegend rund um Dinkelsbühl im 18. Jahrhundert zergliederten. Die Besucherinnen und Besucher im Haus der Geschichte können ihre Geldbeutel stecken lassen und unaufhaltsam den „Barrierenwald“ umrunden.
He! Was soll denn das! Barrieren-Alarm: Hier kommt überhaupt keiner durch!
Aber nein: Mit ordentlichem Rumpeln und Krachen ziehen die beiden Torwächter ihre Hellebarden ein und geben den Weg frei.
Der kleine Obrist von Dinkelsbühl
1632: Im Heiligen Römischen Reich wütet der Dreißigjährige Krieg. Auch vor den Toren von Dinkelsbühl stehen schwedische Truppen; sie wollen die Stadt plündern und niedermachen. Da erlauscht die Tochter eines Turmwächters, dass der schwedische Obrist Claus Dietrich von Sperreuth vor kurzem seinen kleinen Sohn verloren hat. Scharfsinnig schart sie Dinkelsbühler Kinder um sich, zieht mit ihnen vors Tor, kniet vor dem Anführer der Schweden nieder und bittet um Gnade. Prompt erweicht der Anblick der Kinder von Sperreuths Herz; er verschont die Stadt. Dichtung oder Wahrheit? Nun ja. Wahrheit ist: Jedes Jahr im Juli feiert Dinkelsbühl das Ereignis mit der Kinderzeche. Einer der Höhepunkte ist der Auftritt eines kleinen Jungen in Obristenuniform.
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