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Barrierefreie Hotels: selbstbestimmt und entspannt urlauben

München, Dezember 2020. Selbstbestimmt, flexibel und entspannt: Barrierefreie Hotels ermöglichen auch Menschen mit Behinderung einen angenehmen Urlaub. „Barrierefreiheit“ in Hotels bedeutet allerdings viel mehr als nur Rampen und breite Türen. Wie können blinde Menschen Fernseher und Radio bedienen? Wie finden seheingeschränkte Gäste selbstständig ihr Zimmer? Wie erreicht man vom Rollstuhl aus die Kleiderstange? Und was macht Rezeption und Buffet barrierefrei? Infos und Einblicke von zwei Hotelchefinnen – im Allgäu und im Landkreis Garmisch-Partenkirchen.

Blick in ein Hotelzimmer, rechts ein Badezimmer mit offener Schiebetür und bodenebener Dusche.

Über Kerstin Skudrin und Kathrin Geiger

Porträtfoto: Kerstin Skudrin.

Kerstin Skudrin ist seit Mai 2017 Direktorin des AURA-HOTEL Saulgrub.

Kerstin Skudrin

„Die einzige Besonderheit, die unsere Gäste haben: Sie können nur schlecht oder gar nicht sehen. Ansonsten möchten sie ganz normalen Urlaub machen und die Umgebung kennenlernen wie jeder andere auch. Mit unseren Angeboten schlagen wir die Brücke in die Urlaubswelt der Sehenden.“

Porträtfoto: Kathrin Geiger.

Kathrin Geiger leitet seit Oktober 2017 das Allgäu ART Hotel. Seit 1. Oktober 2020 ist sie auch Geschäftsführerin.

Kathrin Geiger

„Im Allgäu ART Hotel wird über Inklusion nicht nur philosophiert: Wir leben sie. Alle unsere Gäste, ob nun mit oder ohne Handicap, jünger oder älter, sind herzlich willkommen. Der Gründer unseres Hotels hatte zwei Herzenswünsche. Erstens: sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Und zweitens: ihnen einen entspannten, selbstständigen Urlaub zu ermöglichen. Barrierefreiheit steht bei uns also zweifach im Mittelpunkt: für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für unsere Gäste.“

Unsere beiden Beispiel-Hotels

Das AURA-HOTEL Saulgrub liegt im Landkreis Garmisch-Partenkirchen in Oberbayern, zwischen Murnau und Oberammergau. Es startete 1962 als Blindenkurheim und Umschulungsstätte. Seit 2016 ist es ein offizielles Hotel speziell für blinde und seheingeschränkte Gäste – das aber bewusst auch sehende Urlauberinnen und Urlauber willkommen heißt. Das Hotel ist eine gemeinnützige GmbH und gehört dem Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund e. V. Es gibt 68 Zimmer, neun speziell für Halterinnen und Halter von Blindenführhunden, und 99 Betten.

Zur Website des AURA-HOTELS

Weitere Infos zur Barrierefreiheit im AURA-HOTEL

Der Inklusionsbetrieb Allgäu ART Hotel wurde im Dezember 2016 als modernes Stadthotel im Zentrum von Kempten eröffnet. Es ist vor allem auf Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer ausgerichtet, aber auch für Gäste mit Seh- und Höreinschränkungen geeignet. Das Haus ist konzipiert für Geschäftsreisende, Urlauberinnen und Urlauber, Familien, Menschen mit und ohne Behinderung und hat auch einen barrierefreien Wellnessbereich und Fitnessraum. Zudem gibt es Platz für Veranstaltungen oder Tagungen. Das Hotel hat 56 Zimmer und 121 Betten.

Zur Website des Allgäu ART Hotels

Weitere Infos zur Barrierefreiheit im Allgäu ART Hotel

Kleine Veränderungen mit großer Wirkung

Eines will Kathrin Geiger gerne klarstellen: „Beim Stichwort `barrierefreie Unterkunft´ haben viele Menschen die Vorstellung, dass es da ausschaut wie in einem Krankenhaus oder Pflegeheim. Das ist aber definitiv nicht der Fall! Barrierefreie Hotels können genauso modern, stilvoll und gemütlich sein wie jedes andere Hotel auch. Sie haben nur besondere Vorzüge, in der Gestaltung und beim Service.“ Dem kann Kerstin Skudrin nur beipflichten: „Wir sind kein `Sonder-Hotel´. Bei uns ist es einfach völlig normal, dass Gäste nur schlecht oder gar nicht sehen können. Und wir sorgen im Hintergrund dafür, dass sich alle eigenständig zurechtfinden, aber auch jederzeit nach Unterstützung fragen können.“ Tatsächlich bedeutet „barrierefreier Urlaub“ für Menschen mit Behinderung vor allem: Eigenständigkeit, Bewegungsfreiheit und Sicherheit – und dadurch Erholung und Entspannung. Für dieses Erlebnis machen sich spezialisierte Hotels sehr viele Gedanken um Details.

Sehbehinderten Gästen fällt die Orientierung z. B. leichter mit:

  • Zimmernummern, die sich farblich klar von den Türen abheben
  • Aufzügen mit Sprachansage der Etagen
  • Telefonen sowie Fernbedienungen für Radio und TV mit Sprachansagen und großen Tasten
  • taktilen Leitsystemen in Gängen und Gemeinschaftsräumen (d. h. Markierungen, die mit Fingern, Füßen oder Langstock ertastbar sind)

Rollstuhlnutzende Gäste haben bequemere Urlaubstage z. B. mit

  • höhenverstellbaren Betten
  • Schränken und Badezimmern mit Schiebetüren
  • Stühlen und Sesseln ohne Armlehnen
  • Türöffnern, Kleiderhaken und Lichtschaltern auf Sitzhöhe

„Im Allgäu ART Hotel ist auch der komplette Wellnessbereich inklusive Sauna barrierefrei zugänglich“, erklärt Direktorin Geiger. „Aber auch wir lernen immer noch dazu: zum Beispiel wie wir den Aufbau des Buffets noch verbessern können, damit Rollstuhlfahrer alle Speisen selbstständig erreichen.“

Von barrierefreien Unterkünften profitieren nicht nur Menschen mit Behinderung. Über mehr Platz, weniger Stolperfallen und einfache Orientierung freuen sich z. B. auch ältere Gäste – oder Familien mit Kinderwagen und viel Gepäck. Hotels erreichen also mit Investitionen in Barrierefreiheit neue Zielgruppen!

Bildergalerie: unterwegs im barrierefreien Hotel

Oft machen Kleinigkeiten den großen Unterschied für einen entspannten barrierefreien Urlaub. Das heißt: Barrierefreie Hotels achten auf Gegenstände und Raumeigenschaften, die Menschen ohne Einschränkungen meist gar nicht als hinderlich auffallen würden. Wir haben einige Beispiele aus den beiden Hotels zusammengestellt. Klicken Sie sich durch die Bildergalerie!

Badezimmer, in dem sich Armaturen und Ablagen in kräftigen Farben von den Fliesen abheben.

Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit brauchen starke farbliche Kontraste, um sich in ihrer Umgebung zu orientieren. Komplett weiß gestaltete Schlafzimmer oder Badezimmer sind für sie ein Hindernis. Deshalb heben sich im AURA-HOTEL wichtige Gegenstände durch blaue Farbe von weißem Hintergrund ab: z. B. alle Lichtschalter und in den Badezimmern Ablagen, Zahnputzbecher, Handtuchhaken, Wasserhahn, Brause und Duschgriffe.

Ein Holzgriff mit Markierung der Etagennummer „2“ in taktiler Schrift.

Auf dem Handlauf im Treppenhaus ist die Etage mit tastbaren Punkten markiert, man nennt das taktile Schrift. Hier die Etage „2“.

Ein Treppenhaus mit einer Treppensicherung.

Die Treppensicherungen im Treppenhaus des AURA-HOTELS schützen vor Stürzen. Die Gäste können sie aber selbstständig öffnen.

Eine Frau steht vor einem Tisch mit verschiedenen Gegenständen. Sie hält eine große Weltkugel.

Im AURA-HOTEL können Gäste praktische Hilfsmittel für ihren Aufenthalt leihen oder kaufen: z. B. sprechende Uhren oder Füllstandmelder, die per Ton signalisieren, wenn ein Glas oder eine Tasse voll befüllt ist. Zudem sind Langstöcke und Gesellschaftsspiele für blinde Menschen im Sortiment. Hier zeigt Dorothea Hiemer, Leiterin der Gästebetreuung, eine Weltkugel, auf der die Kontinente wie Reliefs hervorgehoben sind. Blinde Menschen können so ihre Umrisse ertasten.

Ein Mann steht in einem gekachelten Raum und trocknet einen Hund mit einem Handtuch ab.

Blindenführhunde sind im AURA-HOTEL willkommen. Ein besonderer Service: der eigene Wasch- und Duschraum für Vierbeiner. Im Waschbereich gibt es einen erhöhten Standplatz für die Hunde und Matten auf den Fliesen, um Mensch und Tier vor Rutschgefahr zu schützen.

Blick in eine großräumige Sauna mit niedrigen Holzbänken.

Im Allgäu ART Hotel ist die Sauna barrierefrei: Mit viel Platz zum Manövrieren und niedrigen Bänken können hier auch Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer entspannen.

Eine Eingangshalle mit ertastbaren Markierungen auf dem Boden.

„Taktiles Leitsystem“ ist der Fachbegriff für ertastbare Markierungen, z. B. auf dem Fußboden (hier im Allgäu ART Hotel). Die Markierungen machen die Orientierung für blinde oder seheingeschränkte Menschen leichter: Sie können Informationen mit Langstock oder den Füßen „fühlend lesen“.

Nahaufnahme einer Infotafel mit taktilem Leitsystem einer Gebäudeetage.

Taktile Leitsysteme gibt es auch als Infotafeln. So können Gäste mit den Fingern ertasten, wo sie sich gerade befinden und wo welche Zimmer, Gemeinschaftsräume sowie Aufzüge und Treppen liegen. Taktile Infotafeln sind in barrierefreien Hotels auf allen Etagen und z. B. vor Fahrstühlen zu finden.

Blick in einen Flur mit Handlauf an beiden Seiten.

Handläufe in den Fluren geben Gästen mit Gehbehinderungen mehr Sicherheit (hier im Allgäu ART Hotel).

Ein großräumiges Badezimmer mit offener Dusche, Sitzplatz und Toilette mit Haltegriffen.

Die Badezimmer im Allgäu ART Hotel lassen Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern viel Bewegungsfreiraum. Haltegriffe neben der Toilette ermöglichen selbstständiges Setzen und Aufstehen. Ein Sitzplatz neben der offenen Dusche gibt auch Menschen mit anderen Gehbehinderungen oder Gleichgewichtsschwächen Sicherheit.

Blick in ein Hotelzimmer, rechts ein Badezimmer mit offener Schiebetür und bodenebener Dusche.

Menschen im Rollstuhl brauchen für einen entspannten Hotelaufenthalt vor allem etwas mehr Platz, stufenlose Wege und Türen, die sich in ihre Fahrtrichtung öffnen. Schiebetüren sind eine praktische Lösung – wie hier zum barrierefreien Bad in einem Zimmer im Allgäu ART Hotel.

An einer Hotelrezeption mit Tresen in Sitzhöhe sprechen zwei Rollstuhlfahrerinnen miteinander.

Ein Empfangstresen in Stehhöhe? Ist für Gäste im Rollstuhl viel zu hoch. Mit einem unterfahrbaren Tresen auf Sitzhöhe können Gäste und Angestellte bequem und „auf Augenhöhe“ kommunizieren. Im Allgäu ART Hotel macht das doppelt Sinn, da auch mehrere Beschäftigte des Hotels im Rollstuhl sitzen.

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Vorteile auch für Gäste ohne Behinderung

Von barrierefreien Unterkünften profitieren übrigens nicht nur Menschen mit Behinderung. Über mehr Platz, weniger Stolperfallen und einfache Orientierung freuen sich z. B. auch ältere Gäste – oder Familien mit Kinderwagen und viel Gepäck. Hotels erreichen also mit Investitionen in Barrierefreiheit neue Zielgruppen! So berichtet auch AURA-HOTEL-Direktorin Skudrin: „Unser `Blinden-Hotel´ hat auch für Sehende Vorzüge. Zum einen werden blinde Gäste ja meist von sehenden Angehörigen oder Freunden begleitet. Und auch für sie bedeutet Barrierefreiheit mehr Erholung: Sie können ihre Urlaubspartnerinnen und Urlaubspartner sorgenfreier Dinge allein machen lassen und müssen nicht ständig helfend parat stehen.“ Zum anderen haben barrierefreie Hotels weitere positive Nebeneffekte für jedermann: nämlich schwindende Vorurteile und persönlich erlebte Inklusion. „Fast alle, die im AURA-HOTEL ganz normal als sehende Gäste buchen, sind im Nachhinein begeistert von der neuen Erfahrung“, erzählt Skudrin. „Sie sind überrascht, wie selbstverständlich und unkompliziert Blinde und Nicht-Blinde hier miteinander umgehen und wie ein Austausch entsteht, zu dem es in `normalen´ Hotels nie gekommen wäre“.

Aha!

Das Webportal „Urlaub für Alle in Bayern“ bietet z. B. Menschen mit Behinderung, Familien und älteren Reisenden barrierefreie Urlaubs- und Freizeitangebote. Das Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ macht dabei den Grad der Barrierefreiheit deutlich. Online-Prüfberichte liefern genaue Informationen – z. B. über die Größe des Hotelbadezimmers.

Weitere Informationen finden Sie hier:

Magazinbeitrag „Für Reisende: Bayern barrierefrei erleben & genießen“

Web-Portal „Urlaub für Alle in Bayern“

Zusammenarbeit mit Tourismus und Gemeinden

Natürlich gehören zu einem schönen Urlaub auch eine unkomplizierte Anreise und Ausflüge in die Umgebung. Barrierefreiheit darf also nicht vor dem Hoteleingang aufhören – oder erst dort beginnen. „Die enge Zusammenarbeit mit der Gemeinde, dem Tourismusverband und den Verantwortlichen für Sehenswürdigkeiten im Umland ist sehr wichtig“, betont Kerstin Skudrin. So haben sich in vielen Regionen touristische Anbieter vernetzt und liefern nach „Reisen für Alle“ zertifizierte Informationen zu ihren barrierefreien Angeboten – z. B. Wanderwege, Museen oder Freizeitparks.

Saulgrub punktet mit einem barrierefreien Bahnhof (für den barrierefreien Ausbau wurde der Bahnhof Saulgrub mit dem Signet „Bayern barrierefrei“ ausgezeichnet). Zudem gibt es seit 2020 eine kostenlose Navigations-App, mit deren Hilfe blinde und sehbehinderte Menschen sich eigenständig per Sprachansage durch den Ort bewegen können und Infos zur Umgebung erhalten. Ein besonderer Service des AURA-HOTELS ist außerdem die individuelle Gästebegleitung. „Dieses Angebot ist nur dank der vielen engagierten Ehrenamtlichen aus der Gemeinde möglich“, erzählt Skudrin. Die sehenden Helferinnen und Helfer bieten z. B. kostenlose Morgenspaziergänge an, begleiten Einkaufsbummel, kulturelle Ausflüge, Wanderungen, Sportaktivitäten und Abendveranstaltungen. Und auch die regionalen Kulturstätten gehen mittlerweile vermehrt auf die Zielgruppe ein. So hat z. B. das nahe gelegene Kloster Ettal speziell für die blinden und sehbehinderten Gäste des AURA-HOTELS eine erlebnisreiche Führung entwickelt.

Für Hotels: Tipps aus dem echten Leben!

Beide von uns befragten Direktorinnen sind sich einig: Wer als Hotelunternehmen einen Neu- oder Umbau plant und Barrierefreiheit umsetzen möchte, der sollte sich vor allem von echten Fachleuten beraten lassen – und das sind die Betroffenen selbst. „Natürlich gibt es offizielle
DIN-Normen und Baurichtlinien“, betont Kathrin Geiger vom Allgäu ART Hotel. „Aber es gibt auch ganz viele Kleinigkeiten, die wir als `Nicht-Eingeschränkte´ bei der Planung einfach nicht bedenken.“ Zum Beispiel: Wie lässt sich die Gardine in einem rollstuhlgerechten Zimmer zur Seite schieben, ohne sie herunterzureißen? Ist der Stoff dafür leicht genug und hat die Zugstange die richtige Länge? „Für bestmögliche Barrierefreiheit brauchen wir die echten Erfahrungen und Tipps aus dem Alltag“, so Geiger.

Kerstin Skudrin vom AURA-HOTEL ist noch eine Botschaft wichtig: „Das Thema Barrierefreiheit ist für ein Hotel nie abgeschlossen, sondern ein lebendiger Prozess. Technische Möglichkeiten und Designideen entwickeln sich ständig weiter – genauso wie die Bedürfnisse der Gäste. Deshalb ist für mich und mein Team ein wichtiger Teil unserer Arbeit: immer wieder Zeit nehmen zum Zuhören und Nachfragen.“

Aha!

Wie ein Hotel für alle Menschen attraktiv und barrierefrei gestaltet werden kann (z. B. mit einem cleveren Lichtkonzept), verrät Innenarchitekt und Designer Professor Rudolf Schricker im Gespräch. Erfahren Sie mehr in unserem Magazinbeitrag „(Hotel-)Zimmer für Körper, Sinne und Seele“.