Barrierefreiheit hat auch mit Würde zu tun
Das Beispiel zeigt: Barrierefreiheit bedeutet nicht nur, dass alle Menschen selbstbestimmt und selbstständig am Leben teilhaben können. Sie hat auch etwas mit Würde zu tun. „In anderen Kulturen gelten ältere Menschen als weise. Sie werden wertgeschätzt. Bei uns sieht man vor allem auf Defizite.“ Helmut Muthers findet Lupen an Einkaufswägen gut. Aber es ginge noch besser, meint er: „Solch eine Lupe weist auf ein Defizit hin. Viel eleganter: Leih-Lesebrillen in Banken, Sparkassen oder auch Läden.“ Dann kann jedermann das Etikett der Fältchencreme ganz ohne Scham entziffern. Apropos Etikett: Die oft winzige Schrift auf Schachteln, Tuben und Gläschen wird selbst für adleräugige Menschen zur Barriere. Gutes Packungsdesign sieht nicht nur schön aus, sondern ist auch gut lesbar. Wer Menschen zwingt, sich mit Lupen bewaffnet durch den Einkauf zu kämpfen, nur weil sie älter sind und/oder nicht gut sehen, signalisiert letztlich: An dir sind wir nicht interessiert. – Wenn das mal keine Barriere ist.
Kundengespräch auf Augenhöhe
Oder stellen Sie sich vor, Sie sind 70 Jahre alt und haben ein gewisses Problem. Nicht schlimm, altersbedingt eben. Keines von denen, über die man viel reden wollte. Schon gar nicht mit einem 20-jährigen Verkäufer. Helmut Muthers empfiehlt Unternehmen, die älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu pflegen. Dafür spreche nicht nur die soziale Verantwortung. Das Engagement zahle sich auch aus. „Die Jüngeren laufen schneller“, sagt er. „Aber die Älteren kennen die Abkürzung. Sie haben das Wissen, die Erfahrung, die eigenen Einblicke.“ Seine Erfahrung: Unternehmen, die alte Hasen wertschätzen, werden belohnt. Das hat er über die Branchen hinweg erlebt. Wenn der Verkäufer, die Bankerin oder der Berater aus eigenem Erleben wissen, wo der Schuh drückt, dann fühlen sich Kundinnen und Kunden ernst genommen – und gut aufgehoben.
Ein großer Fehler: Menschen in Altersschubladen zu stecken. Mag sein, dass laut Statistik viele Menschen ab 60 an Produkt XY interessiert sind. „Aber man sollte auf keinen Fall schreiben: `Lieber Senior, für Menschen in Ihrem Alter haben wir Produkt XY´“, warnt Muthers. „Der Empfänger glaubt doch: `Die halten mich für senil und tatterig.´“