Blinde (und teilweise auch sehbehinderte) Menschen navigieren am Computer nicht mit der Maus, sondern mit den Pfeiltasten. Tonsignale und Sprachansagen helfen bei der Orientierung. Um Sehenden zu vermitteln, wie blinde Menschen mit dem Computer arbeiten, hat Hans Maier einen einfachen und sehr eindrucksvollen Versuchsaufbau parat.
Er deckt den Bildschirm seines Notebooks bis auf eine einzige Anzeigezeile mit einer Papphülle ab und gibt das Kommando: Auf geht’s, eine E-Mail schreiben! Wer als Sehender den Bildschirm nicht mehr vor Augen hat, verliert sofort die Orientierung. Jetzt heißt es Ruhe bewahren (zumindest Hans Maier bewahrt die Ruhe und erweist sich als motivationsstarker Pädagoge), mit den Pfeiltasten und der Tabulator-Taste spielen und allmählich ein Ohr für die Computerstimme entwickeln, die Texte ohne die gewohnte menschliche Betonung wiedergibt. Aha, hier ist die Adresszeile, darunter der Betreff. Tippen, vorlesen lassen: „Das ist ein rwtst“. Rwtst? Zurück, korrigieren. „Das ist ein Test“, meldet die Computerstimme. Richtig! Per Tab-Taste weiterspringen, schreiben, vorlesen lassen: prima. Und schon schwebt eine blind verfasste E-Mail durchs weltweite Netz und landet Momente später im Postfach der Barrierefrei-Reporterin.
Auch Menschen ohne Behinderung profitieren
Inzwischen landen viele Fragen zum Thema Barrierefreiheit auf Maiers Schreibtisch. Heute werde die Barrierefreiheit in der Justiz schon in die frühen Projektphasen einbezogen, berichtet Maier. Akzeptanzprobleme werden weniger. „Das liegt auch an der positiven Erfahrung, die viele Kollegen machen. Nichtbehinderte Menschen erleben die Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit, die mit der Barrierefreiheit einhergeht.“ Für sehbehinderte Menschen ist es z. B. wichtig, dass sie die Schriftgröße auf dem Bildschirm stufenlos verändern („skalieren“) können. Davon profitieren auch Normalsichtige. Sie können Schriftgröße, Farben und Kontraste nach ihren persönlichen Bedürfnissen und ihrer „Tagesform“ einstellen.
Es gibt nicht DEN Nutzer mit Behinderung
Wichtig ist für Hans Maier, möglichst viele Anwender in die Entwicklung einzubeziehen. Schließlich gibt es nicht DEN sehbehinderten Menschen und schon gar nicht DEN Menschen mit Behinderung. „Wenn ich klarkomme, bedeutet das nicht, dass auch andere die jeweilige Lösung gut finden.“ Und ein Mensch mit Behinderung ist nicht Fachmann für Behinderung an sich – sondern eben nur für seine. „Für mich war es z. B. interessant zu lernen, dass Menschen, die gehörlos zur Welt kommen und mit Gebärdensprache aufwachsen, sich teilweise mit geschriebener Sprache schwertun. Das ist ein wichtiger Aspekt der Barrierefreiheit: Wir dürfen nicht eindimensional denken.“
Auch „Barrierefrei-Macher“ lernen täglich dazu. Hans Maier arbeitet mit einer Kombination aus Sprachausgabe und Braillezeile. Das bedeutet: Der Text auf dem Bildschirm wird vorgelesen, gleichzeitig kann er ihn auf der Braillezeile ertasten. Gerät die Computerstimme ins Stottern, weiß Maier, dass das System abzustürzen droht; meist kann er noch rechtzeitig seine Daten sichern. Beschäftigte, die nach Diktat schreiben, nutzen den Computer nur mit der Braillezeile. Logisch, schließlich können sie nicht gleichzeitig der Stimme des Richters und der Sprachausgabe lauschen! Sie warnt also auch keine stotternde Computerstimme, wenn das System wackelt. Deshalb ist für sie ein möglichst stabiles System ein besonders wichtiges Barrierefrei-Kriterium.
Lärm als Barriere
Ob im Beruf oder privat: In Hans Maiers Alltag ist neben dem Computer das Smartphone ein wichtiges Hilfsmittel. Die schlauen Telefone helfen blinden Menschen bei der Orientierung – im öffentlichen Nahverkehr wie im eigenen Kleiderschrank. Die eine App informiert über die Abfahrtszeiten aller Busse und Bahnen an der gewählten Haltestelle, die andere erkennt unterschiedlichste Kleiderfarben. Ein sogenannter Screenreader verwandelt die angezeigten Symbole und Texte in Sprache.
Lärm ist für blinde Menschen eine mächtige Barriere – nicht nur, wenn z. B. laute Klimaanlagen in Zügen die Sprachinfos übertönen. „Unterwegs orientiere ich mich viel durch Schnippen“, erklärt Hans Maier. Die Grundlage: Jeder Gegenstand reflektiert den Schall und das Echo lässt schließen auf Entfernung und Beschaffenheit. „Lärm, z. B. von einer Baustelle, macht das unmöglich.“ Am gefährlichsten sind für Maier in der „analogen“ Welt jedoch mobile Barrieren. „Blinde Menschen nutzen meist vertraute Wege. Unerwartete Hindernisse, z. B. parkende Autos auf dem Gehweg, mobile Verkehrsschilder oder Baustellen, können zu schweren Unfällen führen.“