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Kita ohne Barrieren

Landshut, April 2019. Welche Merkmale hat eine barrierefreie Kita? Kann man auch in Bestandsbauten Barrieren abbauen? Wie teuer ist Barrierefreiheit im Neubau? Und wem nutzt eigentlich das barrierefreie Miteinander? Wir haben die barrierefreie Kita Sonneninsel in Landshut besucht, mit Verantwortlichen, Fachkräften und Eltern gesprochen und viele Infos und Bilder für Sie mitgebracht. Schauen Sie mal rein!

Nahaufnahme: Ein kleines Mädchen drückt auf einen Lichtschalter. Der dunkle Schalter hebt sich deutlich von der hellgelben Wand ab.

Über die Kita Sonneninsel

Die Eingangstür der Kita Sonneninsel.

Die Sonneninsel ist eine integrative Kindertageseinrichtung der Lebenshilfe Landshut e. V., d. h., hier werden Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam betreut. Grundlage für ihre Arbeit sind die Richtlinien des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans mit dem Schwerpunkt in der Umsetzung von inklusiver Bildung und Erziehung. 2013 eröffnete die Krippe, 2014 das Haupthaus mit den Kindergarten-Gruppen. 2015 wurde die Anlage um Containerbauten erweitert. Heute entdecken hier 95 Kinder mit und ohne Behinderung bzw. erhöhtem Förderbedarf gemeinsam die Welt. 2019 wurde die Kita Sonneninsel mit dem Signet „Bayern barrierefrei“ ausgezeichnet.

Barrierefreiheit in den Köpfen

„Inklusion“ bedeutet: Es ist normal, verschieden zu sein. In einer inklusiven Kita ist jedes Kind mit seinen ganz eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen willkommen. Nicht das Kind muss bestimmte Anforderungen erfüllen, um in die Einrichtung aufgenommen zu werden. Sondern die Einrichtung muss sich darauf einstellen, Kinder in all ihrer Verschiedenheit aufzunehmen: Mädchen und Buben, Kinder aus verschiedenen Kulturen und Sprachregionen, Kinder mit und ohne Behinderung und mit unterschiedlichem Förderbedarf. In inklusiven Kitas ist der Personalschlüssel höher. Das bedeutet: Es gibt mehr Betreuungskräfte pro Gruppe und damit mehr Betreuungsstunden für das einzelne Kind. Fachkräfte u. a. aus Erziehungs- und Heilberufen – auch von externen Stellen – arbeiten eng zusammen. Außerdem sind inklusive Kitas barrierefrei gestaltet und ausgestattet, damit alle Kinder (und auch z. B. Erwachsene mit Behinderung) reinkommen und mitmachen können. So bildet die Barrierefreiheit eine Grundlage für Inklusion.

Was barrierefreie Kitas auszeichnet

Eine barrierefreie Kita ist so gebaut und eingerichtet, dass Kinder mit unterschiedlichsten Einschränkungen sich möglichst selbstbestimmt und selbstständig bewegen, ihre Ziele erreichen, an Aktivitäten teilhaben und sich bestmöglich entwickeln können. Einige Beispiele aus der Kita Sonneninsel:

  • Herzlich willkommen! Der Zugang zu einer barrierefreien Kita ist ebenerdig, durch eine rollstuhlgerechte Rampe oder einen Aufzug erschlossen. Ist in einem bestehenden Gebäude kein Umbau möglich, kann eventuell eine mobile Rampe genutzt werden.
  • Hier geht’s lang: Ein Farbleitsystem hilft Kindern, z. B. den Weg zu ihrem Gruppenraum zu finden. Wer nicht sicher zu Fuß ist, findet in Fluren und z. B. in den Waschräumen Halt an (höhenverstellbaren) Handläufen.
  • Bahn frei! Breite Flure, Schiebetüren und schwellenlose Übergänge sorgen für reichlich Platz und Sicherheit beim Toben. Kinder im Rollstuhl haben genügend Raum zum Wenden, Kinder mit Geh- oder Sehbehinderung kommen ohne Stolperfallen voran. Auch im Außenbereich sind die Wege breit und eben; die Bodenbeläge sind befahrbar und kontrastreich gestaltet.
  • Das mach‘ ich selber! Logisch. An rollstuhlgerecht unterfahrbaren und höhenverstellbaren Waschbecken können alle Kinder ihre Hände waschen und selbst die Zähne putzen. Und natürlich gibt’s auch ein Behinderten-WC, eventuell auch eine barrierefreie Dusche.
  • Pssssst ...! Beim Spielen wird’s schon mal richtig laut. Doch Lärm stresst Groß und Klein; besonders schädlich ist er z. B. für Kinder mit ADHS. Schallschluckende Filzplatten an der Decke dämpfen schrille Töne und bringen Entlastung – auch für die Erwachsenen.

Aha!

„Bauliche Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, müssen in den dem allgemeinen Besucher- und Benutzerverkehr dienenden Teilen barrierefrei sein“, heißt es in der Bayerischen Bauordnung (Art. 48 Abs. 2 BayBO). Zu diesen baulichen Anlagen zählen Gebäude der kommunalen Infrastruktur, wie zum Beispiel Rathäuser und andere Verwaltungsgebäude, Schulen, Krankenhäuser, Kindertageseinrichtungen, Schwimmbäder und sonstige kommunale Freizeit- und Sportstätten. Weitere Infos finden Sie im Leitfaden „Die barrierefreie Gemeinde“ des Bayerischen Bauministeriums.

  • Zu groß für’n Schoß? Kinder, die beim Sitzen etwas mehr Halt brauchen (buchstäblich oder im übertragenen Sinn), finden Bodenhaftung durch ein kleines Stuhlpodest für die Füße, Armlehnen bieten Unterstützung und Anti-Rutsch-Kissen verhindern ein Abrutschen.
  • Ich hab’s verstanden! Symbolkarten ermöglichen den Austausch mit Kindern, die nicht (gut) sprechen können.
  • Komm, spiel mit! Barrierefreies Spielzeug ist kontrastreich gestaltet und einfach zu (er-)fassen. Brettspielfiguren im XXL-Format können Kinder gut greifen. Riesenpinzetten unterstützen weniger kräftige Hände beim Greifen und stärken sie zugleich. Brotzeit- und Spieltische drinnen und draußen sind unterfahrbar. Große Nestschaukeln laden auch Kinder mit Schwerbehinderung ein. Selbst Rutschen können mit Rampen rollstuhlgerecht erschlossen werden; auf dem Scheitelpunkt setzen sich die Kinder um und rutschen auf dem Hosenboden nach unten.
  • Wickeln ohne Rückenzwicken: Für ältere Kinder mit Schwerbehinderung, die Windeln tragen, gibt es eine höhenverstellbare Wickelliege. Das schont den Rücken der Fachkräfte und sorgt für eine entspannte Atmosphäre.

Bildergalerie: Rundgang durch die Kita

Mehrere Kita-Kinder stehen Hand in Hand nebeneinander über die gesamte Breite des Flures.

„Schaut mal, sooo breit ist unser Flur!“ – In barrierefreien Kitas sind Türstöcke, Flure und Bäder breiter bzw. größer angelegt. So haben z. B. Kinder mit Rollstuhl genug Platz zum Rangieren. Und alle Kinder jede Menge Spiel-Raum.

Ein Flur in einer Kita mit einem visuellen Bodenleitsystem.

Leitsysteme wie die großen gelben Punkte hier im Kita-Flur helfen den Kindern, sich alleine zurechtzufinden.

Nahaufnahme: Ein kleines Mädchen drückt auf einen Lichtschalter. Der dunkle Schalter hebt sich deutlich von der hellgelben Wand ab.

Und wenn wir schon beim Hingucken sind: Auch starke Kontraste sind ein Merkmal der barrierefreien Gestaltung. Die dunklen Lichtschalter auf hellem Grund sind einfach besser sichtbar.

Ein Mädchen geht mit ihrem Rollator in einen Waschraum.

Ob mit Rollator oder Rollstuhl: Kinder mit Gehbehinderung können alle Bereiche und Räume in der Kita gut erreichen. Dafür sorgen u. a. breite Türstöcke und schwellenlose Übergänge.

In einer Gartenanlage: Ein Kind fährt mit einem Dreirad auf einem asphaltierten Weg.

Ungehindert vorwärtskommen: Diese Devise gilt in barrierefreien Kitas auch im Freigelände. Breite, ebene Wege unterstützen Kinder mit Gehbehinderung genauso wie alle, die mit Tretroller, Dreirad oder Rollstuhl unterwegs sind.

Im Waschraum der Kita: zwei unterschiedlich hohe Waschbecken.

Die Waschbecken in den Kita-Bädern sind höhenverstellbar. So können größere und kleinere Kinder genauso wie Kinder im Rollstuhl ohne fremde Hilfe ihre Hände waschen. 

Im Waschraum. Zwischen Waschbecken und Handtuchspender ist ein Handlauf montiert.

Sicher zum Waschbecken und zurück zum Handtuchspender: Auch höhenverstellbare Handläufe tragen dazu bei, dass sich Kinder mit Gehbehinderung oder Gleichgewichtsstörung sicher und selbstständig in der Kita bewegen können.

Im Waschraum: Toilettentüren.

Zwischen dem fünften und siebten Lebensjahr entwickelt sich das Bedürfnis nach Intimsphäre: Auf dem stillen Örtchen wollen Kinder ihre Ruhe haben. In großen Toilettenkabinen mit breiten Türen kommen auch viele Kinder mit Rollstuhl oder Rollator selbstständig zurecht. Erwachsene sind dann nur noch in Rufweite für den Notfall erwünscht.

Ein kleiner Bub öffnet eine Schiebetür.

Schiebetüren haben mehrere Vorteile: Sie ragen nicht als Hindernis in den Flur, man kann sie nicht zuschmettern und sich nicht die Finger einklemmen. In der barrierefreien Kita sind sie natürlich extrabreit.

Ein höhenverstellbarer Wickeltisch.

Helga Röhrner, Gruppenleiterin in der Kita Sonneninsel, führt einen Wickeltisch für größere Kinder mit Schwerbehinderung vor. Sie können z. B. vom Rollstuhl auf den Wickeltisch umgesetzt werden; anschließend gleitet der Tisch auf Knopfdruck nach oben. So klappt das Wickeln ohne Stress – und mit weniger Belastung für den Rücken der Betreuungskräfte.

Ein Mädchen sitzt auf einem Stuhl mit Armlehnen am Tisch.

Manche Kinder brauchen ein bisschen mehr Halt im Leben. Ein Stuhl mit Armlehnen markiert ganz unauffällig einen Ort, der einem unsicheren Kind Sicherheit geben kann. Fußstützen sorgen für die nötige „Erdung“.

Ein Bub legt die Hände wie einen Trichter an den Mund und brüllt Richtung Decke.

Kinder können ihre Lautstärke noch nicht so gut regeln. Spaß am Erproben ihrer Stimmgewalt haben sie sowieso. „Schallschlucker“ wie hier an der Kita-Decke nehmen dem Lärm die Spitze. 

Nahaufnahme: Ordner mit Bildern für die unterstützte Kommunikation.

Wenn ein Kind nicht sprechen kann oder z. B. noch nicht (gut) Deutsch versteht, helfen Bildkarten beim barrierefreien Austausch.

Ein Mann und ein kleiner Bub unterhalten sich und gebärden dazu.

Auch die gebärdenunterstützte Kommunikation (GuK) hilft Kindern dabei, andere zu verstehen und sich selbst auszudrücken. Während Heilerziehungspfleger Max Pluta spricht, begleitet er Schlüsselwörter mit einer Gebärde. Was für manche Kita-Kinder nur ein schönes Spiel ist, hilft anderen beim Spracherwerb.

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Sieben Fragen an ein Team ohne Barrieren

Porträtfoto: Dr. Hannelore Omari.

Dr. Hannelore Omari war bis 2021 Geschäftsführerin der Lebenshilfe Landshut e. V. Der gemeinnützige Verein betreibt u. a. die integrative Kita Sonneninsel.

Porträtfoto: Karin Junge.

Karin Junge leitet die Kita Sonneninsel. Sie ist verantwortlich für 95 Krippen- und Kindergartenkinder sowie 26 Fach- und Assistenzkräfte.

Porträtfoto: Helga Röhrner.

Helga Röhrner, gelernte Buchhändlerin und Erzieherin, leitet seit 2017 eine Kindergartengruppe in der Kita Sonneninsel. In der Einrichtung arbeiten Fachkräfte aus Erziehungs- und therapeutischen Berufen eng zusammen.

Porträtfoto: Ursula Laaß.

Ursula Laaß, Heilpädagogin in der Kita Sonneninsel, arbeitet gerne mit Klangschalen. Wenn die Kinder erforschen, welche Geräusche sie erzeugen können und den Klängen nachspüren, nehmen sie ihren Körper und ihre Sinne wahr und werden ruhiger.

Porträtfoto: Anke Frese-Brammer.

Anke Frese-Brammer ist Architektin. Das Architekturbüro Frese-Brammer + Brammer Landshut hat die barrierefreie Kita Sonneninsel in Landshut geplant.

Porträtfoto: Max Pluta.

Max Pluta ist Keramikmeister und Heilerziehungspfleger. Mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten ist für ihn „der Beruf fürs Leben“. Auch sein kreatives Talent fließt in seine Arbeit in der Kita Sonneninsel ein. Neugierig? Mehr über Max Pluta lesen Sie in unserem Beitrag „Lena mittendrin“.

Dr. Hannelore Omari: „Damit Menschen ungehindert miteinander umgehen können, müssen wir Barrieren abbauen: im baulichen Bereich genauso wie in den Köpfen. Wir benennen noch viel zu oft den Mangel. Ich wünsche mir, dass wir benennen, was ein Mensch kann – und dann die Barrieren aus dem Weg räumen, die ihn hindern. Wir müssen das Positive zum Normalen machen. Barrierefreiheit soll Normalität werden!“

Dr. Hannelore Omari war bis 2021 Geschäftsführerin der Lebenshilfe Landshut e. V.

Helga Röhrner: „Wenn wir mit unserer Hasengruppe in die Eisdiele gehen und die anderen Gäste nicht ein Kind anstarren, weil es eine Behinderung hat, sondern sich beschweren, weil alle Kinder zusammen so laut sind – dann ist das Barrierefreiheit in den Köpfen.“

Helga Röhrner leitet die Hasengruppe in der Kita Sonneninsel.

Barrierefreiheit ist, wenn unsere Kinder einfach ihr Leben leben können!

Anke Frese-Brammer: „Barrierefreiheit heißt: Ich kann ungehindert von A nach B gelangen. Egal, ob ich im Raum unterwegs bin, ein Bildungsziel anstrebe oder den Austausch mit anderen Menschen suche. Bei der Planung berücksichtigen wir alle Bedürfnisse, z. B. von Kindern mit Sinnes- oder Gehbehinderung oder Kleinwuchs. Natürlich müssen wir auch an die Erwachsenen denken. In der Kita Sonneninsel gibt es z. B. eine barrierefreie Besuchertoilette – schließlich gibt es auch Eltern mit Behinderung. Und wir überlegen, wie wir die Fachkräfte unterstützen können, z. B. mit höhenverstellbaren Wickeltischen.“

Anke Frese-Brammer, Architektin

Ursula Laaß: „Wenn ich mit einem Kind arbeite – und die anderen Kinder unsere Aktivitäten nicht als Therapie erkennen, sondern als tolles Spiel, bei dem sie mitmachen wollen. Wenn wir Kinder so fördern, dass sie sich nicht als schwach empfinden. Wenn die Kinder hier alles tun können, was ihr Körper zulässt, ohne Schaden zu nehmen. Wenn unsere Kinder einfach ihr Leben leben können!“

Ursula Laaß arbeitet als Heilpädagogin in der Kita Sonneninsel.

Dr. Hannelore Omari: Alle Kinder, ob mit oder ohne Behinderung oder erhöhtem Förderbedarf. Inklusion bedeutet, dass auch Kinder mit Schwerbehinderung von Anfang an eine Regel-Kita besuchen und keine Sondereinrichtung.

Dr. Hannelore Omari war bis 2021 Geschäftsführerin der Lebenshilfe Landshut e. V.

Karin Junge: Die Nachfrage nach Integrativplätzen steigt; 2018 war sie so stark wie noch nie. In unseren Gruppen sind jeweils zwei Drittel „Regelkinder“ und maximal ein Drittel „Inklusionskinder“ mit erhöhtem Förderbedarf. So können wir auf alle Kinder gleichermaßen achten, sie fördern und ihren Bedürfnissen gerecht werden.

Karin Junge leitet die integrative Kita Sonneninsel.

Dr. Hannelore Omari: „Die Funktion bestimmt die Architektur. Es geht nicht in erster Linie um die schöne Gestaltung, sondern um die Nutzbarkeit – und zwar für Jahrzehnte! Jede Überlegung zum späteren Bedarf ist Gold wert. In die Planung der Sonneninsel haben wir deshalb auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stark mit einbezogen. Und wir haben ein Architekturbüro gesucht, das Erfahrung mit barrierefreiem Bauen hatte. Wir wollten einen Ort schaffen, an dem sich alle Menschen gern und gut aufhalten können. Ich finde, man müsste umgekehrt denken: Das barrierefreie Bauen sollte die Regel sein, nicht die Besonderheit.“

Dr. Hannelore Omari war bis 2021 Geschäftsführerin der Lebenshilfe Landshut e. V.

Anke Frese-Brammer: „Barrierefreiheit führt nicht unbedingt zu höheren Baukosten. Nur die Verkehrsflächen – also z. B. der Eingangsbereich und die Flure – brauchen mehr Raum.“

Anke Frese-Brammer, Architektin

Hannelore Omari: „Baut man eine Kindereinrichtung barrierefrei, erhöhen sich die Kosten nur um ein paar Prozent. Bei Einrichtungen für Erwachsene liegen die Mehrkosten etwas höher, weil man mehr Platz braucht.“

Dr. Hannelore Omari war bis 2021 Geschäftsführerin der Lebenshilfe Landshut e. V.

Karin Junge: „Wir werden jetzt ein sechsjähriges blindes Mädchen aufnehmen. Der Vater hatte verzweifelt nach einer Kita gesucht und war überall auf Ablehnung gestoßen. Wir sind gut ausgestattet – wir brauchen nur noch eine Individualbetreuerin, die sich ergänzend zum Gruppenteam um das Mädchen kümmert. Ich rate anderen Kita-Leitungen: Trauen Sie sich, kommen Sie aus der Komfortzone heraus. Man kann es doch einfach probieren!“

Karin Junge leitet die integrative Kita Sonneninsel.

Karin Junge: Wenn man kein geschultes Auge hat, sieht man nichts Besonderes. Und das ist gut so! Wir achten auch bei Hilfsmitteln darauf, dass sie nicht hervorstechen – und damit die betroffenen Kinder diskriminieren. Aber: Man kann Barrierefreiheit erleben, eben weil alle Kinder überall hinkommen und mitmachen können.

Karin Junge leitet die integrative Kita Sonneninsel.

Hannelore Omari: Barrierefreiheit kann man erleben. Wir wollen Orte schaffen, an denen sich alle Menschen gut und gerne aufhalten können – sei es eine Kita oder eine Schule, eine Sportanlage oder eine Schwimmhalle.

Dr. Hannelore Omari war bis 2021 Geschäftsführerin der Lebenshilfe Landshut e. V.

Karin Junge: Unser Ziel ist es, die Kinder zu möglichst viel Selbstständigkeit zu erziehen. Das braucht viel Fingerspitzengefühl; wir müssen die Balance finden zwischen der nötigen Unterstützung und der Chance, loszulassen. In einer barrierefreien Umgebung können alle Kinder mehr allein erreichen.

Karin Junge leitet die integrative Kita Sonneninsel.

Was halten Eltern vom barrierefreien Miteinander?

Porträtfoto: Alexandra S.

Alexandra S. ist im Elternbeirat der Sonneninsel aktiv. Ihre Tochter besucht den Sonneninsel-Kindergarten, ihr Sohn die Kinderkrippe.

Porträtfoto: Judith Sch.

Judith Sch. engagiert sich im Elternbeirat der Kita. Ihre beiden Kinder besuchen den Kindergarten der Sonneninsel; ihr sechsjähriger Sohn hat eine Sehbehinderung.

Alexandra S.: „Ich bin zufällig auf die Kita Sonneninsel gestoßen. Als ich mehr über das Konzept erfahren habe, war ich froh: Das inklusive, barrierefreie Miteinander ist sehr gut auch für Kinder ohne Behinderung. Sie haben wesentlich weniger Berührungsängste und stärken ihre soziale Kompetenz. Das Personal sieht sehr genau hin und nimmt auch wahr, wenn Regelkinder besondere Bedürfnisse haben oder in einer schwierigen Phase stecken. Meine Tochter tut sich leicht mit dem Lernen; aber die emotionale Entwicklung hängt noch nach. Da wird sie sehr gut gefördert. Manchmal kommen die Kinder von allein auf kreative Lösungen. Meine Tochter geht in eine Kindergarten-Gruppe. Als ein Junge dazukam, der noch nicht gut Deutsch konnte, nahm sie ein Bilderlexikon von ihrem kleinen Bruder mit in die Kita, um ihm Wörter beizubringen. Meine beiden Kinder sind seit ihrem ersten Geburtstag in der Sonneninsel. Ich bin stolz auf ihr Selbstbewusstsein und darauf, wie sie alles alleine meistern.“

Judith Sch.: „Mein Sohn hat Albinismus und eine Sehbehinderung. Das bedeutet für ihn im Alltag: Seine Haut ist sehr lichtempfindlich. Wenn er ins Freie geht, muss er eine Kappe tragen, eventuell auch eine Sonnenbrille, und man muss seine Haut jede halbe Stunde eincremen. Seine Sehbehinderung kann er gut kaschieren. Wenn er schreibt oder malt, beugt er sein Gesicht ganz dicht übers Papier. Hindernisse wie Türschwellen sieht er oft nicht, deshalb ist eine barrierefreie Umgebung gut für ihn. Im Kindergarten gilt er als Inklusionskind, weil er wegen seiner Sehbehinderung für manche Dinge länger braucht. Er hat hier riesige Fortschritte gemacht, weil er hier immer genug Zeit hat, um etwas Neues auszuprobieren und einzuüben. Das Personal hier ist sehr engagiert. Wichtig ist, dass Eltern lernen, ihren Kindern zu vertrauen: Man muss die Kinder auch mal machen lassen!“

Lesetipp!

Lena besucht die „Hasengruppe“ in der Kita Sonneninsel. Die Sechsjährige hat u. a. eine Gehbehinderung. Wir haben sie einen Tag lang in der barrierefreien Kita begleitet. Hier können Sie Lenas Tag nacherleben: zum Magazinbeitrag „Lena mittendrin“.

Barrieren abbauen: Tipps für Kitas & Infos für Eltern

Barrierefreiheit ist die Voraussetzung für ein Miteinander, von dem alle Kinder profitieren. Eine barrierefreie Kita berücksichtigt

  • die Bedürfnisse von Kindern mit und ohne Behinderung bzw. erhöhtem Förderbedarf,
  • nicht nur Einschränkungen der Mobilität (z. B. eine Gehbehinderung), sondern alle Formen von geistiger, seelischer, Körper- und Sinnesbehinderung,
  • bauliche und technische Anforderungen,
  • die Ausstattung mit geeigneten Aktions-, Spiel- und Lernmaterialien,
  • die Information und Kommunikation, von der Kita-Website über das Leitsystem bis zum Elternbrief.

Beim Neubau einer Kita kann Barrierefreiheit vom ersten Entwurf an bedacht und geplant werden. Doch auch viele Bestandsbauten lassen sich nachrüsten. Oft helfen auch kreative Ideen. Einige Beispiele:

Barrierefreie Kitas: kostenlose Infos & Beratung

Vom Neubau bis zum Umbau, von der Rampe bis zum Leitsystem, von der barrierefreien Mobilität bis zur Kommunikation: Für alle Fragen rund um Barrierefreiheit ist die Beratungsstelle Barrierefreiheit Ihre erste Adresse – an 18 Orten bayernweit sowie per E-Mail und telefonisch. Die Fachleute der Beratungsstelle bieten grundlegende Infos und eine erste Orientierung, außerdem eine Erstberatung. Das Angebot steht allen offen – im Fall von Kitas z. B. dem Einrichtungsträger genauso wie der Kita-Leitung, dem Architekturbüro oder dem ausführenden Handwerksbetrieb. Ob Laie oder Profi, die Erstberatung ist für alle Interessierten kostenfrei. Gefördert wird das Beratungsangebot vom Bayerischen Sozialministerium.

Die Plattform „Raum für Inklusion“ des Staatsinstituts für Frühpädagogik und Medienkompetenz (IFP) bietet im Auftrag des Bayerischen Familienministeriums Informationen zum Abbau von Barrieren in der Kindertagesbetreuung, wie etwa zur barrierefreien Gestaltung von Räumen, welche Materialien sich für Kinder mit Einschränkungen besonders gut eignen, aber auch Tipps zur Alltagsgestaltung in den Bereichen Motorik, Sehen, Hören, Kommunikation und Verhalten. Das Angebot lädt dazu ein, die Perspektive zu wechseln und einen inklusiven Zugang aus Sicht des Kindes, aber auch des Fachpersonals und der Eltern zu finden, bestehende Barrieren zu erkennen und abzubauen sowie Chancen zur Teilhabe zu unterstützen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, Expertinnen und Experten aus den einzelnen Bereichen bei konkreten Fragen per E-Mail zu kontaktieren.

Erleichterter Zugang zu Fördermitteln

Der Freistaat Bayern fördert den Abbau von Barrieren in Kitas. Um die Barrierefreiheit voranzubringen, hat die Staatsregierung die Bagatellgrenze für die kommunale Hochbauförderung von 100.000 auf 25.000 Euro abgesenkt. So können nun auch kleinere Maßnahmen gefördert werden, z. B. der Einbau eines Treppenlifts.

Zugang eröffnen

Sie möchten herausfinden, wie Wege und Räume für Kinder mit Rollstuhl oder Rollator gestaltet sein müssen? Die DIN 18040 regelt die barrierefreie Gestaltung von öffentlich zugänglichen Gebäuden. Darüber hinaus hilft der Praxistest: Laden Sie doch einfach Kinder mit Behinderung mit ihren Familien zum Besuch ein – mit Ihrer Architektin bzw. Ihrem Architekten. Das gemeinsame Begehen, Befahren und Erproben öffnet die Augen. Natürlich müssen die drei Stufen vor der Eingangstür mit einer (mobilen) Rampe überbrückt werden. Aber wie steht es mit dem Spieleregal: Welches Regalbrett kann das Kind vom Rollstuhl gut erreichen? Hat es genug Platz, um im Bad zu rangieren? Sind die Spiel- und Esstische mit dem Kinderrolli unterfahrbar? Ist die Türschwelle eine Stolperfalle für Kinder mit Gehbehinderung?

Klare Orientierung bieten

Die Kita ist ein Schutzraum. Es ist wichtig, dass die Kinder sich hier nie verloren fühlen. Bei der Orientierung helfen z. B.

  • Farbleitsysteme an den Wänden und/oder auf dem Boden,
  • große, einfache Symbole an den Türen,
  • die Trennung von Aktionsflächen (z. B. Spielbereich und Ruhezone) durch unterschiedliche Bodenbeläge,
  • gut (be-)greifbare Spielmaterialien in klaren, deutlich unterscheidbaren Farben.

Barrierefreiheit sichert die Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Für alle anderen ist sie ungemein nützlich! Orientierungsangebote z. B. unterstützen Kita-Neulinge genauso wie die jüngeren Kinder sowie Kinder mit geistiger oder Sehbehinderung.

Ruhe und Konzentration fördern

Kita-Räume mit schlechter Schalldämmung sind anstrengend. Wenn einige Kinder laut spielen, können sich die anderen nicht konzentrieren. Das ermüdet – die Kinder genauso wie die Erwachsenen in der Kita. Kinder mit Hörbehinderung tun sich besonders schwer: Das gesprochene Wort geht in den Umgebungsgeräuschen unter. Wandteppiche, textile Raumteiler, Stoffbahnen oder Bastelobjekte an der Decke schlucken Schall und verbessern hörbar die Akustik.

Rückzugsräume schaffen

Für manche Kinder bedeutet der trubelige Alltag in der Kita Stress. Nicht nur Kinder mit erhöhtem Strukturierungsbedarf profitieren von einem Rückzugsort, in dem sie wie in einem Nest Ruhe und Geborgenheit finden. Der Platz ist knapp? Der Rückzugsort muss nicht unbedingt ein eigenes Zimmer sein. Auch in einer Nische lässt sich z. B. mit mobilen Trennwänden oder Tüchern und einer Matratze oder Bodenkissen ein heimeliger, geschützter Bereich schaffen.

Lesetipp!

„Lust und Mut zur Inklusion in Kindertageseinrichtungen“: Unter diesem Titel stellt das Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz (IFP) Handreichungen zur Öffnung von Kitas für Kinder mit Behinderung bereit. Die Broschüre richtet sich v. a. an Pädagoginnen und Pädagogen, bietet aber auch für Fachfremde eine interessante Lektüre. Die Empfehlungen reichen von der Entwicklung einer barrierefreien Haltung bis zur konkreten organisatorischen und gestalterischen Umsetzung. Ein Kapitel befasst sich mit der Gestaltung von Räumen und Strukturen; darin finden Sie viele praktische Tipps. Eine umfassende Info-, Adress- und Literatursammlung ergänzt den Band.

Zur Broschüre „Lust und Mut zur Inklusion in Kindertageseinrichtungen“ (PDF; 5 MB)

Aus der Kita-Praxis, für die Kita-Praxis

„Auf dem Weg zu einer inklusiven Kindertagesstätte“ – unter diesem Titel berichtet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GWE) aus und für die pädagogische Praxis. Hier können Sie die Broschüre herunterladen:

Broschüre „Auf dem Weg zu einer inklusiven Kindertagesstätte“ (PDF; 199,91 MB) öffnen

Inklusion im Kindergarten: Infos für Eltern

An Eltern von Kindern mit Behinderung, Selbsthilfegruppen und Fachleute richtet sich die Initiative INTAKT. Sie informiert auch über Inklusion im Kindergarten – z. B. über rechtliche Grundlagen, die Beratungsstellen in den bayerischen Regierungsbezirken und Einzelheiten des Antragsverfahrens. Gefördert wird INTAKT u. a. vom Bayerischen Sozialministerium.

Zur Website von INTAKT