„Barrierefrei“ heißt nicht, Herausforderungen zu vermeiden. Im Gegenteil!
Lena bleibt in der Nähe der Erwachsenen. Sie geht nicht so gern wie die anderen in den Garten; beim Rennen, Klettern und Toben kann sie mit den Kindern nicht mithalten. „Ich mag jetzt nicht mehr laufen“, verkündet sie. Sie setzt sich auf eine Holzbank vorm Haus und ruft nach Max Pluta. Der winkt sie zu sich. Lena schüttelt den Kopf und ruft noch einmal. Doch Max Pluta lacht nur. Na schööön ... Lena steht auf und trottet ergeben zu ihm hin. „Barrierefrei“ heißt nicht: es den Kindern so einfach wie möglich machen, alle Herausforderungen vermeiden. Im Gegenteil. Das Team steckt den Kindern immer wieder neue Ziele. Sie können sie erreichen. Wenn sie sich anstrengen. Deshalb geht Lena inzwischen an guten Tagen von der Gartentür bis zum Sandkasten ohne Rollator. Zehn lange Meter und ganz allein.
Schließlich finden sich ein paar Kinder zum Versteckspiel zusammen. Das kann Lena gut. Sie ist nicht so schnell wie die meisten anderen, aber sie kennt prima Verstecke, in denen sie samt Rollator untertaucht. Der gesamte Garten ist durch einen breiten, gepflasterten Rundweg erschlossen. An vier Tagen pro Woche dürfen die Kinder hier mit Dreirädern, Rollern und Tretautos herumkurven. Lena hat jeden Tag freie Bahn. „Eeeeiiiins, zweeeiii, dreeeiii … Als der Sucher sich umdreht, sind alle Kinder verschwunden. Aus den Büschen klingt Gekicher.
Eine Barriere? Nein, ein Schutzschild!
Nicht nur Lena hat in der Hasengruppe einen erhöhten Förderbedarf. Ein Kind in der Hasengruppe kann noch nicht flüssig sprechen, einem anderen fällt es schwer, sich zu konzentrieren – und es kommt mit sich und den anderen manchmal nicht gut zurecht. Ein Bub will sich selbst wehtun, wenn die Welt wie eine Woge über ihm zusammenschlägt. Für ihn hat das Team einen ganz kleinen Rückzugsort geschaffen: eine abgeschirmte Ecke nur für ihn, mit nichts als einer Matratze. Hier muss der Bub sich nicht entscheiden zwischen Malen und Spielen, zwischen gelbem und grünem Stift, zwischen Lena und Omar, hier wird er nicht gefordert und fühlt sich nicht überfordert. Hier kann er einfach zur Ruhe kommen. Barrierefreiheit heißt nicht: alles einreißen, was Menschen unterscheidet. Sondern die Welt so gestalten, dass sie mit all ihren Unterschieden ihre Ziele erreichen, ob miteinander oder allein. Und wenn ein kleiner Bub ab und zu einen Schutzschild braucht: Dann wird er für ihn gebaut – und nützt vielleicht auch anderen Kindern, die mal eine Pause vom Außen suchen.
Manchmal kichern die Kinder in der Kita Sonneninsel, wenn z. B. ein Neuankömmling sich mit dem Sprechen schwertut, lispelt oder stottert. Dann schimpft das Team nicht, sondern klärt die Kinder auf. Und bald ist es völlig normal, dass der XY anders redet. Oder vielleicht sogar gar nicht. Wenn er nett ist, klettern die Kinder einfach über die Sprachbarriere und finden einen Weg, mit ihm zu spielen.