Soteria – was ist das?
Margarete Blank: Soteria ist ein Konzept für die erfolgreiche Bewältigung psychiatrischer Krisen. Es entstand in den 70er-Jahren in den USA und kam über die Schweiz nach Deutschland. An die Stelle von hoch dosierten Medikamenten und Zwangsmaßnahmen wie der Fesselung tritt ein „aktives Dabeisein“, die Begleitung durch feste Bezugspersonen. Eine freundliche, zugewandte, offene Atmosphäre beruhigt und nimmt Ängste. Das Personal begegnet den Menschen in der Krise auf Augenhöhe und macht Angebote ohne Zwang. Die Betroffenen können die Krise durcharbeiten, ohne allein gelassen zu werden, und ein eigenes Konzept für sich entwickeln.
Soteria hilft übrigens nicht nur den betroffenen Menschen, sondern ist auch volkswirtschaftlich betrachtet von Nutzen. Die Methode wirkt nachhaltiger, viele Menschen können schneller in ihren Beruf zurückkehren.
Martina Heland-Gräf: Ähnlich funktioniert der Offene Dialog. Dabei begleitet ein Therapieteam den betroffenen Menschen an einem Ort seiner Wahl – nicht jedoch in stationärer Unterbringung. Die Methode wurde in Finnland entwickelt. Sie führte dazu, dass die Schizophrenie in Finnland so stark zurückgegangen ist, dass sie beinahe als „ausgestorben“ gilt.
Apropos Beruf: Viele Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung könnten arbeiten. Wie können Chefs und Kollegen sie unterstützen?
Martina Heland-Gräf: Gute Chefs und Kollegen verstehen, dass eine Führungsposition trotz Erkrankung möglich ist. Wer offen reden kann, spart sich Versteckspiele und kann seine Energie in die Arbeit investieren. Ganz wichtig ist also: Vertrauen und Zutrauen zu vermitteln. Druck vermeiden. Keinen Zeitdruck oder Machtdruck aufbauen!
Margarete Blank: Es sind auch scheinbare Kleinigkeiten. Manche Medikamente können Sehstörungen bewirken, andere sorgen für einen trockenen Mund. Bei Besprechungen sollte immer Wasser angeboten werden. Gutes Licht am Arbeitsplatz und in Konferenzräumen ist hilfreich, auch gute Computer-Bildschirme.
Martina Heland-Gräf: Auch ein Rückzugsort ist gut, z. B. ein Raum für eine Mittagsruhe.
Was können Selbsthilfegruppen bewirken?
Martina Heland-Gräf: Ziel der Selbsthilfe ist es, Stabilität zu finden durch Gespräche mit Peers. Das sind in diesem Fall Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, die meine Situation nachvollziehen können und genau verstehen, wovon ich spreche.
Margarete Blank: Das Tolle an der Selbsthilfe ist, dass man in diesem Austausch lernen kann, anders mit Situationen umzugehen.
Martina Heland-Gräf: Wir bieten Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung Informationen, ein Forum für den Austausch, rechtlichen Beistand. Mit unserer Arbeit nach außen wollen wir Vorurteile abbauen und die Situation von Psychiatrie-Patientinnen und -Patienten verbessern. Wir arbeiten auch an der flächendeckenden Einrichtung von Krisendiensten in Bayern mit.
Selbsthilfe sollte ja möglichst vor Ort angesiedelt sein. Wie gut ist Bayern denn schon versorgt?
Martina Heland-Gräf: In Südbayern gibt es schon viel mehr Gruppen als in Nordbayern. Auf unserer Website finden Interessierte die Adressen von Selbsthilfegruppen in Bayern. Eine Selbsthilfegruppe zu gründen, ist nicht einfach. Denn es bedeutet, dass die Betroffenen sich outen und an die Öffentlichkeit gehen müssen. Sie müssen Vermietern erklären, welche Gruppe sich in ihrem Raum treffen will. Sie müssen an die Medien herantreten, um andere Betroffene zu erreichen. Sie müssen sich mit bürokratischen Fragen herumschlagen. Dabei werden sie von ihren Ansprechpartnern begutachtet, bewertet und oft stigmatisiert.
Der Bayerische Landesverband ist schon lange aktiv …
Martina Heland-Gräf: Ja, er besteht seit 15 Jahren als eingetragener Verein. Heute haben wir rund 150 Mitglieder. Wir haben einiges erreicht. Die organisierte Selbsthilfe wird wahrgenommen und inzwischen mehr ernstgenommen. Mit unserer Website sind wir sichtbar im Internet. Wir werden gehört, wir sind in vielen Gremien vertreten. Das Bayerische Sozialministerium fördert über den Bezirk Oberbayern u. a. eine Personalstelle. Auch das ist ein Beitrag, um vorhandene Barrieren auszugleichen. Wir pflegen einen guten Kontakt zu Bürgerhelfern und Angehörigen. An verschiedenen Orten konnten wir schon Selbsthilfetage organisieren …
Margarete Blank: Das Thema Barrierefreiheit bearbeiten wir auch intensiv gesundheitspolitisch. Wir haben Empfehlungen zum Aktionsplan der Bayerischen Staatsregierung gegeben. U. a. engagieren wir uns für ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) in Bayern. Darin müssen die Rechte, der Schutz und die Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten genauso festgeschrieben sein wie die Qualitätssicherung.