Michael Schinharl

Barrierefreier Spielplatz: Hier treffen wir uns!

Gessertshausen, August 2021

Auf einem barrierefreien Spielplatz können alle Kinder etwas erleben, erproben, sich entfalten und gemeinsam Spaß haben: große und kleine, vorsichtige und wagemutige, Kinder mit und ohne Behinderung. Nicht jedes Spielgerät muss für jedes Kind geeignet sein. Familie B. hat für uns den Spielplatz Oberschönenfeld erprobt und tolle Angebote entdeckt. Und Spielplatzprofi Lothar Köppel erklärt, was einen barrierefreien Spielplatz auszeichnet: Er spricht alle Menschen und alle Sinne an!

Über den Spielplatz Oberschönenfeld

Der Spielplatz Oberschönenfeld liegt in Gessertshausen nahe Augsburg. Neben dem Spielgelände locken Familien unter anderem ein Naturparkhaus und ein Walderlebnispfad. Das fast fußballgroße Spielgelände war in die Jahre gekommen. Nun wurde es barrierefrei gestaltet und 2021 wiedereröffnet.

Lothar Köppel

Barrierefrei spielen, klettern, baden & entdecken!

Der Spielplatz Oberschönenfeld (Träger: Bezirk Schwaben) ist auf die Bedürfnisse von Kindern aller Altersgruppen mit und ohne Behinderung ausgerichtet. Die Anlage bietet Spielgeräte, einen Balancier- und Kletterparcours, wilde Pfade, eine große Wiesenfläche und einen natürlichen Bach: Die Schwarzach quert das Gelände und lockt Klein und Groß zum Spielen, Planschen und Sonnenbaden. Ein WC am Haupteingang soll noch barrierefrei nachgerüstet werden.

Für die barrierefreie und inklusive Gestaltung des Spielplatzgeländes gab es einen Hauptpreis des Deutschen SPIELRAUM-Preises 2021 „Gemeinsam“.

Spielgeräte müssen für die Kinder da sein, nicht die Kinder für die Geräte. Bei barrierefreien Spielgeräten sind Altersangaben nicht sinnvoll. Jedes Kind hat unabhängig vom Alter seine eigenen Stärken und Interessen! Ein barrierefreier, inklusiver Spielplatz bietet für alle Kinder etwas. Aber nicht alle Kinder müssen alles können.

Lothar Köppel, Landschaftsarchitekt

Barrierefreie Spielplätze: nicht alles für alle, aber ...

... etwas für jede und jeden:

Das ist die Grundidee barrierefreier Spielplätze. Aber bedeutet „barrierefrei“ nicht, dass alle Menschen überall (ohne fremde Hilfe) teilhaben können? Stimmt. Und das ist auch sinnvoll, wenn es darum geht, im öffentlichen Raum, in einem Gebäude oder im Internet ein Ziel zu erreichen. Beim Spielen macht aber gerade die Herausforderung den Reiz aus. Wären zum Beispiel alle Spielgeräte auf die Allerkleinsten zugeschnitten, dann würden sich die Größeren langweilen. Und wären alle Spielgeräte rollstuhlgerecht, dann müssten Kinder mit Sehbehinderung aufs Klettern verzichten.

Barrierefreie Spielplätze sind deshalb so gestaltet, dass alle Kinder zusammenkommen können und zum Entdecken und Gestalten, zu Spiel und Sport angeregt werden – an einem Ort, aber eben nicht unbedingt am selben Spielgerät.

Zwei-Sinne-Prinzip & Zwei-Wege-Prinzip

Auf barrierefreien Spielplätzen gelten das Zwei-Sinne-Prinzip und das Zwei-Wege-Prinzip:

Wege, Treppen, Spiel- und Aufenthaltsbereiche müssen mit (mindestens) zwei Sinnen erkennbar sein.

Beispiel Oberschönenfeld: Der Spazierweg übers Spielplatzgelände ist hell und grenzt sich gut gegen die dunkleren Spielflächen (Rasen bzw. Holzschnitzel) ab. Sehbehinderte Menschen können mit ihrem Langstock Wegmarkierungen ertasten.

Jedes Spielgerät muss auf zwei Wegen erreichbar sein, mindestens einer davon barrierefrei.

Beispiel Oberschönenfeld: Hier kann man quer über die Rasenfläche laufen oder über den barrierefreien Spazierweg. Er ist rollstuhlgerecht und lotst zum Beispiel sehbehinderte Menschen mit tastbaren Markierungen zu neu entwickelten, farbigen und berollbaren Zugängen („Adaptern“) zu den Spielgeräten.

Bilderstory 1: auf Entdeckungstour mit Familie B.

Michael Schinharl
Mit Mama, Papa und Schwester Lea auf dem Spielplatz Oberschönenfeld: Hanna findet’s super.

Braune Haare, große Augen und ein breites Lächeln: Das ist Hanna. Die 7-Jährige liebt Musik, Hörspiele und ihre ältere Schwester Lea. Wenn sie alleine ist, guckt sie sich gern verträumt die Welt an und spielt mit ihren Fingern. Hanna ist körperlich und geistig behindert, sie braucht einen speziellen Rollstuhl, der ihren Oberkörper stützt. Sprechen kann sie nicht; doch was ihr gefällt (oder auch nicht), zeigt sie ganz genau. Wir durften Hanna, ihre 11-jährige Schwester Lea und ihre Eltern, Katharina und Michael B., einen Vormittag lang auf dem Spielplatz Oberschönenfeld begleiten.

Aha!

Der Spielplatz Oberschönenfeld misst einen halben Hektar: Das ist so groß wie ein kleines Fußballfeld. In der Mitte dehnt sich eine Rasenfläche aus. Hier kann man Ball spielen, picknicken, turnen und toben. Ein rollstuhlgerechter Weg umrundet die „Bewegungsspielfläche“ (so der Fachausdruck) und erschließt den Zugang zu allen Spielgeräten und Anlagen: dem Schaukelwald, dem Balancier-Parcours, dem Spielhügel mit Rutschen und einer Röhre, den Wippen und Wackeltulpen, der Tischtennisplatte, den verschlungenen Pfaden durchs wilde Dickicht und – tadaaa! – der Schwarzach! Ja, durch den Spielplatz Oberschönenfeld fließt tatsächlich ein Bach.

Bilderstory 2: die Tricks des Spielplatzgestalters!

Michael Schinharl
Pionier der barrierefreien Spielplatzgestaltung: der Mühldorfer Landschaftsarchitekt Lothar Köppel.

Lothar Köppel ist ein Pionier der barrierefreien Spielplatzgestaltung. Der Landschaftsarchitekt entwarf 1985 Bayerns ersten barrierefreien und rollstuhlgerechten Spielplatz für die Bayerische Landesschule in München. Bis heute arbeitet er in Planungsprozessen und Projekten sowie in mehreren DIN-Normen-Ausschüssen für Barrierefreiheit und Inklusion in Außenbereichen, Spiel, Freizeit und Sport mit.

Seit seinem ersten Projekt hat Köppel ungezählte barrierefreie Spielplätze entwickelt. Im Deutschen Institut für Normung (DIN) arbeitet er an Normen unter anderem für barrierefreie Kinderspielplätze und Spielplatzgeräte mit. Auf einem Rundgang hat er uns erklärt, welche Ideen und nützlichen Hilfen in den vielen Spielplatzdetails stecken. 

Profi-Tipps für Spielplatzbetreiber

Lothar Köppel war jahrelang für die Beratungsstelle Barrierefreiheit tätig. Sie unterstützt Kommunen, Unternehmen und Privatleute bei allen Fragen zur Barrierefreiheit. „Von kommunalen Spielplatzbetreibern kam oft die Frage: Muss ein öffentlicher Spielplatz barrierefrei sein?“, erinnert sich Köppel. „Ja! Öffentlich zugängliche Spielbereiche müssen nach Artikel 48 der Bayerischen Bauordnung barrierefrei sein. Kommunen müssen auch hier an alle Menschen denken!“

Natürliche Elemente

„Spielgeräte sind für mich zweitrangig!“, sagt Lothar Köppel. Wie bitte, haben wir uns verhört? „Nein“, beharrt der Landschaftsarchitekt. „Auch mit natürlichen Elementen kann man viele Anreize geben. Auf die Kombination von Natur, Landschaft und bespielbaren Einrichtungen kommt es an.“ Er legt bunte Wiesenflächen an, schafft mit Benjeshecken Unterschlupf für Tiere, setzt Holz, Steine, Sand und Wasser ein. Tatsächlich: In den Naturbereichen und auf der Bewegungsfläche in Oberschönenfeld tummeln sich genauso viele Kinder wie an den Spielgeräten.

Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist ein weiteres großes Thema auf dem Spielplatz. In Oberschönenfeld sind die meisten Geräte und Anlagen aus natürlichen und/oder wiederverwerteten Materialien hergestellt. Robinien liefern hartes, widerstandsfähiges Holz. Auch Kork ist ein natürliches Material und federt als Bodenbelag Stürze ab; Lothar Köppel hat Kork in Oberschönenfeld eingesetzt, um die Langlebigkeit zu testen. Wie nachhaltige Lösungen zugleich Baukosten sparen, erfahren Sie im nächsten Punkt!

„Beim Spielplatzbau rechnet man normalerweise mit Kosten von 150 bis 170 Euro inklusive Mehrwertsteuer und Nebenkosten pro Quadratmeter“, erklärt Landschaftsarchitekt und Spielplatzplaner Lothar Köppel. „Der Spielplatz Oberschönenfeld ist etwa 5.000 Quadratmeter groß; wir haben ihn umfassend nach der neuen Planungsnorm für Spielplätze 18034 gestaltet. Die Kosten für die komplette Neugestaltung betrugen 400.000 Euro. Wir liegen also … mithilfe und Nutzung der natürlichen Gegebenheiten weit unter 100 Euro pro Quadratmeter.“

Köppel setzt beim Spielplatz auf Wiederverwertung (Recycling) – und Einsparungen am richtigen Fleck. Weil ein Pilz ihnen zusetzte, mussten mehrere Eschen auf dem Spielplatzgelände gefällt werden. Ihr Holz ist nun auf dem Spielplatz verbaut. Sogar alte Feuerwehrschläuche finden Verwendung; sie fassen die „Adapter“ zu den Spielgeräten ein: die rollstuhlgerechten Zufahrten, die weich mit Holzhackschnitzeln gepolstert sind. Die Sandwege sind nicht eingefasst. Das sieht gut aus und spart Material und Kosten.

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