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Digitale Barrierefreiheit

Unsere Welt wird stetig digitaler. Doch noch immer sind viele Angebote nicht barrierefrei. Dabei lassen sich Websites, Apps, Online-Shops, elektronische Ticketsysteme oder Smart-Home-Anwendungen so gestalten, dass sie alle Menschen gut nutzen können. Und davon profitieren auch die Anbieter. 

Digitalisierung: Auf in eine neue Welt!

Die Digitalisierung verändert unser Leben fundamental. Der Begriff „Digitalisierung“ beschreibt die umfassenden Veränderungen in der Gesellschaft durch den Fortschritt digitaler Technologien. Diese Entwicklung wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus: auf die Wirtschafts- wie die Arbeitswelt, auf die Politik wie das Private, auf Lern- und Lebenswege.

Digitale Technologien eröffnen insbesondere Menschen mit Behinderung und älteren Menschen neue Chancen für mehr Teilhabe. Sie bieten nie da gewesene Möglichkeiten, um sich selbstbestimmt zu informieren und sich mit anderen auszutauschen: etwa indem sie sich eine Online-Tageszeitung vorlesen lassen oder bei einem Videoanruf in Gebärdensprache kommunizieren. Auch für weniger mobile Personen bringt das Internet Vorteile – wie zum Beispiel den Einkauf vom Sofa aus. Allerdings gilt all das nur unter einer wichtigen Voraussetzung: Digitale Angebote wie Apps, Online-Shops, elektronische Ticketsysteme oder Smart-Home-Anwendungen müssen barrierefrei gestaltet sein.

Digitale Barrierefreiheit bedeutet für mich eine größere Selbstständigkeit. Ich kann ohne fremde Hilfe online Freundschaften pflegen, mich über Restaurants und Kochrezepte informieren und meine Urlaube planen.

Thomas Ernst ist Experte für digitale Barrierefreiheit bei der Stiftung Pfennigparade. Er hat eine motorische Behinderung.

Digitale Hürden überwinden

Die meisten Menschen sind täglich im Internet aktiv, ohne groß darüber nachzudenken. Sie lesen Bücher und Zeitungen online, schauen Filme orts- und zeitunabhängig oder stöbern in Online-Shops. Sie zahlen bargeldlos mit dem Mobiltelefon, mit dem sie auch Fotos machen. Sie programmieren Heizungen, Rasenmäher- und Staubsaugerroboter oder dokumentieren per App ihren Schlafrhythmus.

Teilhabe oder Ausgrenzung?

Die Digitalisierung sorgt aber auch dafür, dass im Alltag Dinge mithilfe von Computern oder Automaten erledigt werden müssen, die früher im direkten Kontakt mit Menschen passierten. Längst gibt es nicht mehr auf jedem Bahnhof einen Fahrkartenschalter, Banken schränken den analogen Geldtransfer ein und immer mehr Selbstbedienungskassen werden eingerichtet.

Doch nicht jede und jeder möchte oder kann Fahrscheine am Automaten kaufen, Geld online überweisen oder Konzertkarten im Netz kaufen. Dafür gibt es viele Gründe: Manche haben lieber mit Menschen statt mit Maschinen zu tun, andere sorgen sich um die Datensicherheit. Oft aber liegt es daran, dass sich die Geräte und Anwendungen aufgrund einer körperlichen oder kognitiven Einschränkung oder einer Sinnesbehinderung nicht so gut bedienen lassen. So kann digitale Technik zum unüberwindbaren Hindernis werden.

Die gute Nachricht ist: Es gibt heute viele Möglichkeiten, wie Computer, Smartphones oder Automaten für alle Menschen gut bedienbar werden. Barrierefreie Benutzerschnittstellen ermöglichen es, dass Menschen mit und ohne Behinderung digitale Angebote nutzen können – einfach, gleichberechtigt und ohne fremde Hilfe.

Barrierefreie Benutzerschnittstellen

Um ein Gerät zu bedienen, muss man ihm mitteilen, was man will. Die technische Lösung dafür ist die Benutzerschnittstelle. Bei digitalen Geräten ist das meistens ein Bildschirm mit Schaltflächen, die angeklickt oder angetippt werden kann. Es gibt jedoch noch viel mehr Möglichkeiten, die – je nach Bedürfnissen und Fähigkeiten – Barrierefreiheit ermöglichen. 

Benutzerschnittstellen können zum Beispiel: 

  • Sprache erkennen und Text per Sprache ausgeben
  • Gesten und Bewegungen des Körpers erkennen und verarbeiten
  • Gesichter und Bewegungen der Augen interpretieren und verarbeiten
  • mit Messgeräten am Kopf Gedanken erkennen und verarbeiten

Anwendungen für mehr Barrierefreiheit 

Längst gibt es zahlreiche digitale Werkzeuge, die gezielt Menschen mit Einschränkungen unterstützen: Sie erleichtern beispielsweise bei eingeschränktem Hörvermögen das Telefonieren. Screenreader-Anwendungen lesen digitale Inhalte für blinde oder seheingeschränkte Menschen vor. Apps können Bilder erkennen und beschreiben oder Videos automatisiert mit Untertiteln versehen. Und Rollstuhlfahrende können sich per App informieren, welche Orte oder Gebäude einer Stadt barrierefrei sind.

Ausgewählte Beispiele für digitale Angebote finden Sie hier – und weitere in unserer „Entdeckungstour“.

BestStockFoto/shutterstock
Apps sind Zusatzprogramme (zum Beispiel) für Smartphones. Sie bieten viele Funktionen, auch für Menschen mit Behinderung. Voraussetzung: Die Apps sind barrierefrei.

Welche Apps haben Sie installiert? Ob Wecker, Taschenlampe, Messenger-Dienst, Fitnessprogramm oder Fahrplan, zigtausende praktische Helferlein und unterhaltsamer Schnickschnack werden gratis oder kostenpflichtig angeboten. Für Apps gilt wie für alle digitalen Angebote: Barrierefrei sind sie nur, wenn sie dem Zwei-Sinne-Prinzip folgen. Schriftliche Informationen müssen so angeboten werden, dass Sprachausgabesysteme sie vorlesen können. 

Mit einer Software für die Sprachsteuerung von Handy-Apps hat eine Studentin 2018 den ARD/ZDF-Förderpreis „Frauen + Medientechnologie“ gewonnen. In ihrer Bachelor-Arbeit entwickelte Aruscha Kramm ein Grundgerüst für eine Sprachsteuerung, das auf einzelne Apps übertragen und angepasst werden kann. So könnten künftig mehr Apps auch für Menschen mit Sehbehinderung nutzbar sein.

Und wenn ein Mensch nicht sprechen kann? Ein Blick sagt manchmal mehr als tausend Worte. Prof. Dr. Tom Gross von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg beschäftigt sich mit der Mensch-Computer-Interaktion. „Meinen Studenten sage ich immer, dass sie sich bei der Entwicklung von technischen Geräten von Anfang an fragen sollen: Welches Ziel will welcher Benutzer mit welchen Eigenschaften damit erreichen? Dabei muss man auch die Vielfalt der Menschen berücksichtigen. Ein guter Ansatz ist es deshalb, mehrere Schnittstellen zu kombinieren."

Lässt sich beispielsweise ein Roboter mit Blicken, Gesten oder Sprache steuern, ist er für alle gut zu bedienen.

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Digitale Barrierefreiheit bedeutet: Computer passen sich auch den Ausdrucksmöglichkeiten des Nutzenden an. Der Physiker Stephen Hawking z. B. steuerte seinen Sprachcomputer mit winzigen Gesichtsbewegungen.

Der wohl berühmteste Nutzer solcher Schnittstellen war der Physiker Stephen Hawking (1942 – 2018). Eine ALS-Erkrankung lähmte im Laufe seines Lebens seine Muskeln. Seit Hawking künstlich beatmet werden musste, konnte er nicht mehr sprechen. Er teilte sich über einen Sprachcomputer mit, den er mit einem Daumen steuerte. Als auch der Daumen erlahmte, verwendete er eine Brille mit einem Sensor, der jede Bewegung seines Auges und seiner Wange aufnahm. So konnte Hawking durch Blinzeln und Wangenzucken den Computer steuern.

Doch dies dauerte zu lang für einen Mann, der viel zu sagen hatte. Also entwickelten Fachleute ein Programm, das „erriet“, was Hawking als Nächstes sagen würde. Hawking musste die Textvorschläge nur noch mit einem Wangenzucken bestätigen. So schaffte er zuletzt wieder bis zu 20 Wörter pro Minute und gab sogar Interviews im Fernsehen. Eine ähnliche Autovervollständigung nutzen viele Menschen heute, wenn sie Nachrichten auf ihrem Handy tippen: Während man schreibt, werden automatisch sinnvolle Ergänzungen vorgeschlagen. Beispiel: Ein Nutzer tippt „Guten“, das Programm schlägt als nächstes Wort „Morgen“ vor.

Gebärdensprachdolmetschende haben alle Hände voll zu tun. Sie übersetzen zwischen gehörlosen und hörenden Menschen, zum Beispiel beim Behörden- oder Arztbesuch und dolmetschen in Echtzeit bei Vorträgen, in Gottesdiensten und auf Konzerten. Jetzt bekommen sie neue Kollegen: Avatare! Die computeranimierten Figuren gebärden zum Beispiel Services der Deutschen Bahn, übersetzen Packungsbeilagen von Medikamenten und erklären Kunstwerke.

Eine weitere Innovation sind digitale Datenbrillen. Mit ihnen haben hörgeschädigte Menschen wichtige Infos buchstäblich vor Augen. Eingesetzt werden sie unter anderem in der Arbeitswelt.

Metamorworks/GettyImages
Entspannt am Steuer sitzen und die Zeitung lesen? Selbstfahrende Autos werden zurzeit intensiv erprobt. Wenn sie ausgereift sind, eröffnen sie ganz neue Chancen – z. B. für Menschen, die wegen ihres Alters oder einer Behinderung nicht (mehr) selbst fahren können.

Digitale Technik unterstützt uns schon heute beim Autofahren. Das Navi zeigt den Weg, Hilfssysteme warnen uns vor Gefahren. Es gibt sogar schon Autos, die autonom – also selbstständig – fahren. Der Mensch muss nur noch das Ziel eingeben und los geht’s. Messgeräte erfassen ständig die Umgebung, ein Computersystem übernimmt Lenkrad, Bremse und Gaspedal. Noch sind selbstfahrende Autos nur zu Tests auf der Straße zugelassen. Doch über kurz oder lang wird die Technologie ganz neue Möglichkeiten eröffnen – auch für sehbehinderte oder sehr alte Menschen. Damit könnten gerade Menschen, für die es schwieriger ist, den öffentlichen Verkehr zu nutzen, enorme Unabhängigkeit und Mobilität (zurück-)gewinnen. 

Barrierefrei im Web unterwegs: Wie fühlt sich das an?

Katharina Levy / photocase.de

Musik als Augenschmaus

Gebärdensprachevideos erleichtern tauben und höreingeschränkten Menschen das Eintauchen in die digitale Welt.

nicolasberlin / photocase.de

Mit Sehbehinderung surfen

Bei eingeschränktem Sehvermögen erleichtern vielfältige Hilfen und Tricks die Computernutzung.

Susann Städter / photocase.de

Online ohne Maus

Menschen mit beeinträchtigter Feinmotorik navigieren mit Hilfe der Tastatur oder steuern ihren Computer sogar mit den Augen.

una.knipsolina / photocase.de

Lesen & verstehen

Dank Leichter Sprache finden Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder Lernschwierigkeiten einfacher Zugang zu Texten.

„Bayern barrierefrei“ setzt staatliche IT-Lösungen für alle um 

Ziel der Bayerischen Staatsregierung ist es, staatliche IT-Verfahren und -Anwendungen barrierefrei zu gestalten. So eröffnen sie Bürgerinnen und Bürgern neue Möglichkeiten der Teilhabe. Öffentliche Stellen sind gesetzlich verpflichtet, unter anderem Websites und mobile Anwendungen digital barrierefrei zu gestalten. Dafür bietet die Staatsregierung in Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle Barrierefreiheit praktische Hilfestellungen, zum Beispiel mit einem Handlungsleitfaden für öffentliche Stellen und einer Workshop-Reihe zur Sensibilisierung und Information.

Digitale Barrierefreiheit nützt allen

Digitale Barrierefreiheit ist nicht allein ein Thema für Menschen mit Behinderung oder die ältere Generation. Auch wer nicht zwingend auf digitale Barrierefreiheit angewiesen ist, profitiert von Websites, Apps und Automaten, die sich gut bedienen lassen. Fachleute sprechen von einer hohen „Usability“ (Deutsch: Nutzerfreundlichkeit) und von einer guten „User Experience“ (Deutsch: Nutzererlebnis). 

Mit ihrer hohen Nutzerfreundlichkeit erzielen barrierefreie Angebote eine größere Reichweite und stärken die Kundenbindung. Das bedeutet für kommerzielle Angebote wie Online-Shops: Die Investition in Barrierefreiheit zahlt sich nicht nur ideell aus. 

Und: Digitale Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten, wird ab 28. Juni 2025 auch für viele Unternehmen Pflicht. Dann tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Deutschland in Kraft. Damit setzt die Bundesregierung die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, kurz: EAA) um. Das heißt, wer heute schon in Barrierefreiheit investiert, ist für die Zukunft abgesichert.

Wie kann die barrierefreie Gestaltung digitaler Angebote in der Praxis gelingen? Hier können Sie sich einen ersten Überblick verschaffen:

Sie wollen mehr über das BFSG wissen? Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit bietet umfassende Hintergrundinformationen und Antworten auf häufige Fragen:

Digitale Barrierefreiheit …

  • ist ein Muss für viele Menschen mit Behinderung. Sie können digitale Angebote sonst nicht nutzen.
  • ist sehr wichtig für ältere Menschen von heute und morgen. Auch Menschen, die zum Beispiel nicht gut sehen, lesen oder sich konzentrieren können, profitieren von barrierefreien Angeboten.
  • bedeutet höchste Nutzerfreundlichkeit für alle Menschen.
  • ist für öffentliche Stellen bereits Pflicht.
  • wird für viele kommerzielle Anbieter digitaler Produkte und Dienstleistungen ab 28. Juni 2025 Pflicht.

Beratungsstelle Barrierefreiheit

Was macht eine barrierefreie Website oder App aus? Warum ist Leichte Sprache wichtig? Mit welchen Hilfsmitteln lassen sich Hürden in der Kommunikation überwinden?

Antworten auf diese und weitere Fragen rund um digitale Barrierefreiheit, Leichte Sprache und Unterstützte Kommunikation bietet die Beratungsstelle Barrierefreiheit der Bayerischen Architektenkammer. Das Team der Beratungsstelle Barrierefreiheit berät zu allen Fragen der Barrierefreiheit in sämtlichen Lebensbereichen – an 18 Standorten in ganz Bayern. Das Angebot wird vom Bayerischen Sozialministerium gefördert.

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