Als Behindertenbeauftragter ist Holger Kiesel für alle Themen zuständig, die Menschen mit Behinderung betreffen. Die Bereiche Schule, Arbeit, Wohnen und politische Teilhabe sieht er als besonders drängend an; hier setzt er deshalb besondere Schwerpunkte.
Schule: Inklusion als Lernerfolg für alle
Holger Kiesel zeigt sich überzeugt: Wenn Inklusion in den Schulen gelingt, dann prägt sie alle Beteiligten ein Leben lang positiv, macht feinfühlig für das Thema Barrierefreiheit, öffnet die Augen für die Bedürfnisse und die Stärken von Menschen mit Behinderung. „Damit Inklusion in der Schule gelingen kann, müssen die Rahmenbedingungen noch stärker angepasst werden“, fordert er. „Die Klassen müssten deutlich kleiner werden, die personelle Ausstattung verbessert – mein absolutes Traumziel wären zwei Lehrkräfte in jeder Klasse. Der klassische Frontalunterricht ist für die allerwenigsten Schülerinnen und Schüler die ideale Unterrichtsform. Und die Digitalisierung kann eine große Chance sein, gerade für uns Menschen mit Behinderung. Aber ohne barrierefreie Hard- und Software kann sie auch das größte Ausschlusskriterium sein.“
Vor allem aber brauche Inklusion Mut, findet der Behindertenbeauftragte. „Inklusion funktioniert da am besten, wo man sich traut, sich eine möglichst flexible Struktur zu geben: die einen Rahmen bietet, wo man ihn braucht – die aber niemanden am Vorwärtskommen hindert. Was aber auch heißt, dass der einzelne Mensch sehr flexibel sein muss. Am Anfang gibt es immer Skepsis und Zweifel, Eltern, die befürchten, ihre Kinder werden unterfordert oder überfordert. Aber wenn dann das Modell ins Laufen kommt, dann sagen die Leute: Okay, das geht ja doch! Ich glaube, Schule funktioniert am besten dann, wenn man versucht, von den althergebrachten Ansätzen ein Stück wegzugehen. Da hilft es auch, wenn man sich überlegt, wie die eigene Schulzeit war und was man sich gewünscht hätte.“
Arbeit: viel mehr als Geldverdienen
„Ich habe den Eindruck: Viele Menschen mit Behinderung sind beruflich unterfordert, zu wenige landen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“, schildert Holger Kiesel. Er setzt sich dafür ein, Übergänge durchlässiger zu gestalten, Menschen mit Behinderung einen besseren Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu eröffnen.
Noch immer bekommen Menschen mit Behinderung zu hören: „Sie müssen doch gar nicht arbeiten, Sie bekommen doch Geld vom Amt!“ Abgesehen davon, dass das oft nicht stimmt, „Arbeit ist sehr viel mehr als der Zwang zum Geldverdienen!“, verdeutlicht Holger Kiesel. „Menschen brauchen eine Aufgabe! Eine sinnvolle Tätigkeit, die ihrem Tag Struktur gibt – und das Gefühl, einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten. Das sieht man auch bei den Werkstätten für Menschen mit Behinderung: Wenn es nur ums Geldverdienen ginge, würde wahrscheinlich keiner in einer Werkstätte arbeiten!“