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Barrierefrei baden gehen!

Treuchtlingen, November 2020. Wasser hat keine Barrieren. Der Zugang dorthin schon: Stufen, Treppen, weite Wege, schwere Türen, enge Umkleidekabinen. Für Menschen mit Behinderung, ältere Badegäste und Familien mit kleinen Kindern bleibt der Badespaß vor lauter Umwegen oft auf der Strecke. Die Altmühltherme Treuchtlingen wurde deshalb umgestaltet: raus mit den Barrieren, rein mit Komfort und Wellness für alle!

Blick in eine Schwimmhalle.

Über Ulrich Schumann

Porträtfoto: Ulrich Schumann.

Ulrich Schumann leitet seit Anfang 2015 die Altmühltherme Treuchtlingen. Von 2016 bis 2020 wurde die Anlage in mehreren Abschnitten umgebaut und barrierefrei gestaltet. Mit dem Abbau von Barrieren hat Ulrich Schumann schon aus früheren Projekten Erfahrung.

Meine Meinung

„Wir wollen Menschen mit Behinderung nicht mehr in Behindertenkabinen und Therapiebecken absondern. Unser Umbauziel: mehr Komfort für alle – gemeinsam.“

Mehr Komfort und Badespaß für alle

Wo in den 70er-Jahren gerade mal ein Hallenwellenbad stand, erstreckt sich heute die riesige Anlage der Altmühltherme Treuchtlingen in alle Richtungen. Vier Jahrzehnte lang wuchs der Betrieb; heute umspannt er u. a. ein Thermal- und Heilbad, eine Saunalandschaft, Sportbecken, Riesenrutschen, ein Freibad und eines der größten Gesundheits- und Therapiezentren der Region. Jedes Jahr besuchen rund 360.000 Gäste die Therme (das Jahr 2020 mit den Corona-Lockdowns natürlich nicht mitgerechnet); 80.000 von ihnen lassen sich als Patientinnen und Patienten im Therapiezentrum behandeln. Die Prognose geht von einem Zuwachs auf 420.000 Gäste aus.

Aha!

Seit 2013 arbeiten die Stadt Treuchtlingen und die Rummelsberger Diakonie e. V. daran, in der Stadt Barrieren abzubauen. Ziel: eine „Stadt ohne Hindernisse“. Der Seniorenbeirat unterstützt das Projekt u. a. mit Praxistests. Im Blickpunkt stehen auch barrierefreie touristische Angebote. Das Gesundheitszentrum Altmühlvital in der Altmühltherme ist bereits zertifiziert.

Mehr Infos: Barrierefreiheit in Treuchtlingen

Barrierefreiheit für alle Menschen. Und für die Schwimmtier-Herde.

Baulich war die Altmühltherme vor Beginn der Renovierung auf dem Stand der 70er-Jahre. Der Zahn der Zeit hatte dem Gebäude genauso zugesetzt wie das für Bäder typische, dauerfeuchte Klima. Von 2016 bis 2020 wurde die Anlage in mehreren Bauabschnitten saniert. Betonteile und technische Anlagen mussten erneuert, die neuen und bestehenden Bereiche sinnvoll zueinander gegliedert und barrierefrei gestaltet werden. „Dabei haben wir durchgehend inklusiv gedacht“, schildert Thermenleiter Ulrich Schumann. „Das heißt, wir haben keine Bereiche nur für Menschen mit Behinderung gestaltet, sondern alles für alle.“

Besonders ältere Menschen genießen das 32 bis 36 Grad warme Heilwasser, das Beschwerden z. B. an Gelenken und Wirbelsäule lindern kann. Ihnen soll die Neugestaltung genauso dienen wie Reha-Patientinnen und -Patienten, die nach der Therapiestunde noch eine Runde im Freibad schwimmen. Und auch Familien sind gern gesehene Badegäste. Sie finden mit Kindern, Buggy und Schwimmtier-Herde nicht nur im Wasserspielgarten, sondern auch in den Umkleidekabinen entspannt Platz.

Eintauchen in barrierefreies Badevergnügen: zum Video „Bayern barrierefrei: Altmühltherme Treuchtlingen“ mit UT/DGS/AD

Universelles Design: Schluss mit „Extralösungen“

Das Prinzip „Alles für alle“ nennt man auch: Universelles Design. Ulrich Schumann erklärt es an einem Beispiel: „Wir hatten früher zwei Sammelumkleiden für Menschen mit Behinderung, eine für Damen und eine für Herren. Brauchte eine Rollstuhlfahrerin beim Umziehen ihren Mann als Assistenten, durfte der eigentlich gar nicht in die Damenumkleide – umgekehrt natürlich genauso. Andererseits wurden die Sammelumkleiden selten genutzt; im Schnitt besuchten jeden Tag nur zwei Gäste mit Rollstuhl die Therme.“ Heute gibt es (fast) keine Extralösungen für einzelne Zielgruppen, sondern Angebote, die allen dienen. „Wir haben jetzt eine große, rollstuhlgerechte Unisex-Einzelkabine. Außerdem gibt es größere Einzelumkleiden, die alle nutzen können. Sie sind so groß, dass Menschen mit Behinderung eine Begleitperson mit hineinnehmen können, Familien sich nicht auf die Füße treten und ältere Menschen sich bequem umziehen können.“

Die Grenze zwischen `Patient´ und `Gast´ löst sich in heiterem Geplätscher auf.

Universelles Design ist nicht nur praktisch, sondern auch schön. Architekt Wolfgang Gollwitzer hat das Gestaltungskonzept gemeinsam mit Kornelia Grundmann entwickelt. Die Sachverständige für barrierefreies Bauen kennt die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung auch aus eigenem Erleben; wegen einer MS-Erkrankung nutzt sie einen Rollstuhl. Ein zweckmäßiges „Therapiebecken“ wurde im Zusammenspiel der beiden Fachleute zum lichten, einladenden „Kursbecken“; Therapieeinheiten finden hier abwechselnd mit Fitnesskursen statt. Menschen mit und ohne Behinderung, junge und ältere Menschen begegnen einander, die Grenze zwischen „Patient“ und „Gast“ löst sich in heiterem Geplätscher auf.

Eine lichtdurchflutete, elegant gestaltete Halle mit einem geschwungenen Becken.

Vorher: ein zweckmäßiges Therapiebecken. Heute: elegante Wellness für alle im Bewegungsbecken im Obergeschoss!

Ein Therapieraum. Schwarz gestaltete Funktionsbereiche heben sich stark von den hellen Boden- und Wandflächen ab.

Hell-Dunkel-Kontraste prägen die gesamte Anlage. Das sieht nicht nur schick aus, sondern hilft sehbehinderten Menschen, sich im Raum zurechtzufinden.

Barrierefreie Gestaltung: ein echter Hingucker

Klinikatmosphäre raus, Wohlfühlambiente rein: Das gilt auch für die Toilettenanlagen. Und auch hier spielten die DIN-Normen zur Barrierefreiheit dem Architekten in die Hände. Taucht man ein Bad oder eine Toilette ganz in Weiß oder Pastelltöne, finden sich Menschen mit Sehbehinderung kaum zurecht. Deshalb sind Kontraste angesagt: ein Zusammenspiel aus hellen und dunklen Farben, die z. B. das Toilettenbecken eindeutig von Boden und Wand absetzen.
Auch der Einsatz unterschiedlicher Materialien – z. B. matte und glänzende – kann helfen. Die Spielwiese für Gestalter ist eröffnet! Und das Auge findet nicht nur Halt, sondern Wohlgefallen am hochwertigen, zeitlosen Design. „Hochwertig und kontrastreich – dieses Konzept zieht sich durchs ganze Haus“, freut sich Ulrich Schumann. Kaum sichtbar, aber dafür deutlich spürbar tragen auch Details wie die Montagehöhe von Toilettenbecken zur Barrierefreiheit bei. Alle Toiletten der Altmühltherme sind so hoch montiert, dass sich zum Beispiel ältere Menschen bequem setzen und wieder aufstehen können.

Kompromisse sind gut – wenn man sie gemeinsam entwickelt

„Wir mussten in keinem Bereich mehr Geld in die Hand nehmen, um Barrierefreiheit zu realisieren. Nur die Badlifter fielen zusätzlich an. Außerdem haben wir Aufzüge eingebaut, weil unsere Therme – und das ist eher die Ausnahme – mehrstöckig ist.“ Eine klare Aussage von Thermenchef Schumann, die Bauherren Mut machen sollte. Natürlich: „Im Bestand ist es unmöglich, alle Ideale zu erfüllen“, schränkt Architekt Wolfgang Gollwitzer ein. Vor Ort, in der Therme, habe man daher mit Vertreterinnen und Vertretern von Behindertenverbänden sowie des Landratsamts diskutiert. Was ist ein Muss – und wo können alle Beteiligten mit einem Kompromiss leben? Ein solcher Kompromiss wurde bei den Türen gefunden. „An Stelle von elektrischen Türen, die sich langsam öffnen, gibt es normale Türen, für die wir aber mehr Platz eingeplant haben.“ Der Platz ist wichtig für Menschen, die im Rollstuhl, mit Rollator oder mit einem Kinderwagen unterwegs sind, und beim Türöffnen rangieren müssen.

Wir mussten in keinem Bereich mehr Geld in die Hand nehmen, um Barrierefreiheit zu realisieren.

Oder das Thema Induktionsschleifen. Induktive Höranlagen senden Sprache störungsfrei auf Hörgeräte und filtern Schall und Umgebungsgeräusche heraus. Induktionsschleifen werden immer öfter z. B. an Infoschaltern, in Vortragssälen und auch in Kirchen verlegt. Auch an der Kasse von Bädern sind sie sehr nützlich. Aber im Schwimmbad? Die wenigsten Hörgeräte sind wasserfest; hörgeschädigte Menschen nehmen ihre Hörgeräte meist in der Umkleidekabine heraus und verstauen sie sicher. Im Badebereich werden deshalb keine Induktionsschleifen verlegt. „Gefahrensituationen können wir sowieso besser lösen durch gut geschultes Personal in allen Bereichen.“

Klares Leitsystem und Infos in einfacher Sprache

Ein klares Leitsystem und Infos in einfacher Sprache lotsen alle Besucherinnen und Besucher ohne Umwege ans Ziel. Wer möchte schon, tropfnass im Badezeug und ohne Brille, mühsam Hinweise entziffern? Besonders hilft klare Kommunikation Menschen mit Lernschwierigkeiten und Badegästen, die nicht (gut) Deutsch sprechen. Auch hier zeigt sich wieder der universelle Gedanke. Gute barrierefreie Lösungen fallen nicht als „Hilfsmittel“ auf. Ja, sie fallen gar nicht auf. Sie sind einfach nützlich.

Bildergalerie: barrierefrei = praktisch UND attraktiv

Kassenbereich mit Infoschild.

„Heute Fotoshooting“: Das Redaktionsteam von „Bayern barrierefrei“ ist zu Gast in der Altmühltherme Treuchtlingen.

Mitarbeiterin stellt Rollstuhl bereit.

Für Therapie- und Badegäste, die nicht gut zu Fuß sind, bietet die Therme Leihrollstühle. Thermen-Mitarbeiterin Claudia Schäfer stellt den Service beim Rundgang durch die Therme vor.

Gruppenumkleide mit Spinden und einer einfachen Liege.

Vorher: Die Damen- und die Herren-Sammelumkleide waren behindertengerecht gestaltet. Doch wenn eine Frau mit Behinderung Unterstützung durch den Ehemann brauchte (oder umgekehrt), wurde es kompliziert.

Moderne Behindertenumkleide mit barrierefreier Dusche und WC.

Heute gibt es geräumige Einzelkabinen für alle – und eine barrierefreie Umkleide mit Dusche und WC für Menschen mit Behinderung. Die Geschlechterfrage spielt keine Rolle mehr, die Intimsphäre bleibt gewahrt.

Dusche mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten.

Klare Orientierung: Die weißen Trennwände heben sich kontrastreich gegen die schwarzen Wandfliesen ab.

Sprudelbecken mit Lifter.

Ein Thermalbad kann manche Beschwerden lindern. Und die Seele baumelt ganz wunderbar im mineralreichen Thermalwasser. Beim Abtauchen ins Sprudelbecken hilft ein Lifter. Damit niemand über Badeschlappen stolpert, steht ein Schuhregal parat.

Blick von oben: Schwimmbecken mit Lifter.

Der Blick aus der Vogelperspektive zeigt den Lifter mit den breiten Armlehnen. Sie stützen und geben Sicherheit.

Eine große Terrasse mit Holzboden, teilweise von einem Sonnensegel überspannt.

Hingucker mit Ausblick: Die Terrasse der Saunalandschaft ist rollstuhlgerecht gestaltet.

Sonnenterrasse mit barrierefreiem Zugang.

Ein breiter stufenloser Zugang verbindet die Sonnenterrasse mit dem Freigelände.

Zwei Männer betrachten eine Planungsbroschüre.

In zwei Abschnitten wurde die Altmühltherme von Ende 2016 bis 2020 renoviert. Thermenchef Ulrich Schumann (rechts) und Architekt Wolfgang Gollwitzer führten die über Jahrzehnte gewachsene Anlage zu einer Einheit zusammen. Durch geschickte neue Raumaufteilung gewann die Therme 600 Quadratmeter Nutzfläche für den Gesundheitsbereich. Damit bereitet sich die Altmühltherme auch auf den demografischen Wandel vor. Mit der Zahl älterer Menschen steigt der Bedarf an Angeboten, die Menschen fit halten (Prävention) bzw. ihre Gesundheit wiederherstellen – und so Pflegebedürftigkeit oder Frühverrentung vorbeugen (Rehabilitation).

Porträtfoto: Ulrich Schumann.

Dass eine barrierefreie Gestaltung im Neubau kaum mehr kostet, spricht sich allmählich herum. Doch sogar der Umbau in einer bestehenden Anlage kann ohne Mehraufwand gelingen: „Wir mussten in keinem Bereich mehr Geld in die Hand nehmen, um Barrierefreiheit zu realisieren“, versichert Thermenchef Ulrich Schumann. Einzige Ausnahme: die Badlifter – und die Aufzüge. Die Altmühltherme ist, ungewöhnlich für Bäder, mehrgeschossig.

Regalbrett mit Deko-Figuren.

In seinem Büro hat Thermenleiter Ulrich Schumann einige wohlig beleibte Badegäste versammelt. Barrierefreiheit bietet auch Vorteile für fülligere Menschen: von den großzügiger bemessenen Umkleidekabinen bis zum bequemen Einstieg ins Schwimmbecken.

Porträtfoto: Wolfgang Gollwitzer.

„Eine gute barrierefreie Gestaltung fällt nicht auf“, erklärt Architekt Wolfgang Gollwitzer. „Es gibt keine getrennten Bereiche – z. B. für Menschen mit Behinderung – mehr.“ Eine barrierefreie Zukunft bedeutet: viel mehr entspanntes Miteinander – und mehr Komfort für alle.

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Glossar

Erklärung der Begriffe

Induktive Höranlage

Eine technische Lösung, um Sprache, Musik oder Geräusche drahtlos auf Hörgeräte und Cochlea-Implantate zu übertragen. Eingesetzt wird das Verfahren z. B. in Schule und Studium, bei Veranstaltungen, Gottesdiensten oder Theateraufführungen. Die Anlage besteht aus einem Mikrofon (oder einer anderen Signalquelle), einem Verstärker und einer Induktionsschleife. Der Vorteil: Umgebungs- und Echogeräusche werden ausgeblendet, Töne kommen in klarer Qualität beim Empfänger an.