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Ein Flughafen macht mobil

München, Mai 2016. Über den Wolken ist die (Barriere-)Freiheit nicht immer grenzenlos. Etwas weiter unten, auf Deutschlands Flughäfen, sieht es deutlich besser aus. Hoch engagiert beim Abbau von Barrieren ist Europas erster Fünf-Sterne-Flughafen München. Bauliche und technische Maßnahmen sorgen dafür, dass möglichst viele Menschen selbstständig ihr Ziel erreichen. Zusätzlich kümmern sich 220 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausschließlich um Fluggäste mit eingeschränkter Mobilität. Mehr als 700 Passagiere betreuen sie im Schnitt pro Tag, 250.000 jedes Jahr. Und die Zahlen steigen, der Bedarf wächst.

Blick in ein Flughafengebäude; im Vordergrund ein interaktives Info-Terminal.

Über Marion Linkert

Porträtfoto: Marion Linkert

Marion Linkert ist beim Flughafen München Referentin für PRM Service. „PRM“ bedeutet: passengers with reduced mobility, zu Deutsch: Fluggäste mit eingeschränkter Mobilität.

Meine Meinung

„Wir möchten, dass unsere Gäste mit Mobilitätseinschränkung dort sind, wo alle anderen auch sind. Das ist Inklusion, das ist Barrierefreiheit.“

„Mobility Service“ – was ist das?

Seit 2008 schreibt die EU-Verordnung Nr. 1107/2006 die Rechte von Fluggästen mit Behinderung bzw. eingeschränkter Mobilität fest. Sie sollen wie alle anderen Menschen am Luftverkehr teilhaben können. Die nötigen Hilfeleistungen müssen kostenlos angeboten werden. Die Kosten dürfen auf alle Flughafennutzer umgelegt werden. Die entsprechenden Infos finden Sie auf den Websites von Fluglinien und Flughäfen meist unter den Stichworten „Mobilitätsservice“ oder „Mobility Service“.

250.000 gute Gründe für Barrierefreiheit

Für viele Menschen mit Behinderung ist die Flugreise längst Normalität. Dank der barrierefreien Gestaltung auf dem Münchner Flughafen kommen sie oft selbstständig ans Ziel. Viele Einrichtungen sichern das barrierefreie Vorwärtskommen. Die automatische Drehtür, die sich auf Knopfdruck in eine Schiebetür verwandelt. Aufzüge, deren Bedientasten so niedrig angebracht sind, dass Menschen im Rollstuhl sie bequem erreichen. Tastschrift an Übersichtstafeln und Bedientasten. Taktile Bodenleitsysteme, die blinde Menschen mit Langstock zum nächsten Infoschalter und zu den Aufzügen lotsen. Infosäulen mit großen, übersichtlich gestalteten Bedienfeldern; hier können sich Fluggäste auch Infos und Wegbeschreibungen ausdrucken. Ganz neu sind interaktive Infosäulen („InfoGate-Stelen“), die Ratsuchende mit einer Servicekraft verbinden. Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter erscheint auf einem Bildschirm und ist über Mikro und Lautsprecher mit dem Fluggast verbunden. Dieser persönliche Service gibt auch Menschen Sicherheit, die mit Hightech-Kommunikation nicht vertraut sind. Wer darüber hinaus persönliche Unterstützung braucht, der wendet sich an den Mobility Service.

Das Team vom Mobility Service betreut täglich rund 700 Fluggäste. Das sind mehr als 250.000 Einsätze pro Jahr. Allein von 2014 auf 2015 stieg die Zahl der Betreuungen um zwölf Prozent.

Doch nur jeder zehnte Gast des Mobility Service hat eine Behinderung. „Der fitte junge Rollstuhlfahrer braucht uns nur beim Einsteigen ins Flugzeug“, sagt Marion Linkert, Referentin für PRM Service beim Flughafen München. „Die meisten Menschen, die den Mobility Service buchen, kehren z. B. mit einem Gipsbein aus dem Skiurlaub zurück, kommen wegen eines verletzten Arms nicht allein mit ihrem Gepäck klar, sind altersbedingt nicht mehr gut zu Fuß oder haben Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Sie alle gelten als eingeschränkt mobil und haben Anspruch auf Unterstützung.“ Besonders die Zahl der älteren Fluggäste steigt stetig an. Das liegt zum einen daran, dass der Anteil älterer Menschen in Deutschland zunimmt. Zum anderen kommt aber einfach auch eine Generation in die Jahre, für die das Fliegen zum Alltag oder zumindest zum Urlaub gehörte. Sie möchten nicht auf Flugreisen verzichten, nur weil die Hüfte schmerzt oder die Sehkraft nachlässt.

220 Servicekräfte für Menschen mit eingeschränkter Mobilität

Ihnen allen bietet der Mobility Service mit seinen 220 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tatkräftige Unterstützung. Wer auf dem Flughafen genauer hinsieht, entdeckt rasch die Servicekräfte. Hier begleitet einer einen allein reisenden Fluggast im Leihrollstuhl zum Check-in, durch die Sicherheitskontrolle und bis zum Boarding. Dort sammelt ein anderer zwei gehbehinderte Passagiere in der Nähe des Check-in-Schalters mit einem Elektrocaddy ein. An einem der Infoschalter übergibt ein Mitarbeiter einen Leihrollstuhl an eine Familie; der erwachsene Sohn hat schon Routine, er hilft seiner Mutter, Platz zu nehmen und schiebt los, die Familie schwirrt mit den Rollkoffern hinterdrein. Eine weitere Servicekraft lotst einen blinden Fluggast von der S-Bahn durch die langen Gänge im Flughafengebäude. Und auf dem Vorfeld sorgt das Team mit Minibussen und Hubliftern dafür, dass Menschen mit Mobilitätseinschränkung sicher und bequem ihr Flugzeug erreichen.

Aha!

Betrachtet man die Fluggastzahlen in Deutschland, so sieht man: Die Zahl von Reisenden mit eingeschränkter Mobilität ist überdurchschnittlich stark angestiegen. Ursache hierfür sind der demografische Wandel – und der zunehmende Abbau von Barrieren. Viele Flughäfen sind auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung und älteren Fluggästen eingerichtet. Entsprechend groß ist die Zufriedenheit: Die Beschwerdequote lag 2014 bei 0,0064 Prozent. (Quelle: Erhebung 2014 der ADV – Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen)

Vorschrift ist: Fluggäste mit eingeschränkter Mobilität müssen spätestens 48 Stunden vor Abflug bei ihrer Fluggesellschaft oder ihrem Reisebüro ihren Bedarf anmelden. Alltag ist: „Nur 50 Prozent der Passagiere melden sich tatsächlich bei ihrer Airline. Die anderen kommen spontan auf uns zu“, schildert Marion Linkert. „Oft kommen z. B. ältere Menschen im Alltag, in ihrer Wohnung, auf dem Weg zum Bäcker an der Ecke gut klar. Hier sehen sie sich dann aber von den weiten Wegen überfordert.“ Reisende aus Kulturkreisen, in denen Behinderung als Tabu gilt, kennen den Mobility Service vielleicht gar nicht. Das hängt auch von der Informationspolitik der jeweiligen Fluggesellschaft ab. Und gerade ältere Menschen hindert manchmal auch der Stolz daran, ganz offiziell ihren Hilfebedarf anzumelden. Kein Problem. Geholfen wird allen. Marion Linkert empfiehlt allen Reisenden mit eingeschränkter Mobilität: „Finden Sie sich spätestens zwei Stunden vor Abflug am Flughafen ein, bei Langstreckenflügen drei Stunden vorher. Und nur wenn wir wissen, welche Mobilitätseinschränkung der Gast hat, können wir den Service optimal abstimmen.“

Signet-Übergabe im Münchner Flughafen.

Sozialstaatssekretär Johannes Hintersberger (links) überrreichte im Mai 2016 das Signet „Bayern barrierefrei“ an Dr. Michael Kerkloh, den Vorsitzenden der Geschäftsführung der Flughafen München GmbH, und Marion Linkert, Referentin für PRM Service.

Porträtfoto: Dr. Michael Kerkloh

Kerkloh sieht das Signet auch als Ansporn, die Services laufend weiterzuentwickeln: „Der Zweck eines Flughafens ist, für Mobilität zu sorgen. Wir wollen Reisemöglichkeiten für alle Menschen schaffen, auch für Passagiere mit eingeschränkter Mobilität.“

Von Erster Hilfe bis Herzschrittmacher

Alle Servicekräfte sind geschult – u. a. durch Menschen mit Behinderung. Sie sind fit in Erster Hilfe und trainieren regelmäßig, wie man blinde Menschen korrekt führt oder Menschen im Rollstuhl sicher schiebt. Mit allen Zielen und Wegen im Flughafen müssen sie sich vertraut machen. Wie funktioniert die Passkontrolle? Was ist beim Sicherheitscheck zu beachten, wenn ein Fluggast einen Herzschrittmacher hat? Gäste aus aller Welt, aus vielen Kulturen, mit unterschiedlichsten Einschränkungen: Fingerspitzengefühl ist die wichtigste Stärke der Servicekräfte. „Wenn ich einen Passagier und einen Service Agent sehe, die herzlich miteinander lachen: Dann bin ich zufrieden, so soll es sein“, meint Marion Linkert. Sie selbst bekam von einer indischen Dame schon mal ein herzhaftes Bussi auf die Wange gedrückt.

„Toilette für alle“ und barrierefreie Dusche

Behindertentoiletten sind natürlich Standard am Flughafen. Sie sind zugeschnitten auf die Bedürfnisse von Menschen mit Gehbehinderung bzw. Rollstuhl. Besonders stolz ist Marion Linkert auf die neue „Toilette für alle“ für Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen. Zusätzlich zur üblichen Ausstattung von Behindertentoiletten bietet sie einen Lifter und eine Pflegeliege. Menschen, die z. B. nicht selbstständig sitzen können, werden hier von ihrer Begleitperson ohne großen Aufwand vom Rollstuhl auf die Liege gehoben. Ungestört und in aller Ruhe können sie dann z. B. gewickelt oder katheterisiert werden. Bislang gibt es „Toiletten für alle“ bundesweit nur in einigen wenigen öffentlich zugänglichen Gebäuden; der Flughafen München ist auch hier Vorreiter. Direkt neben der „Toilette für alle“ liegt eine barrierefreie Dusche.

Lesetipps!

Zur Initiative „Toiletten für alle“ finden Sie einen eigenen Beitrag in unserem Magazin. Darin dreht sich alles um ein absolut dringendes Bedürfnis. Aber lesen Sie selbst:

Zum Magazinbeitrag „Toiletten für alle!“

Kompakte Infos mit Video-Doku gibt es hier:

Zum Servicetext „`Toiletten für alle´: Infos für Betroffene und Initiatoren“

Eine Jogginghose für die Menschenwürde

Die Beziehung zwischen Fluggast und Servicekraft ist kurz, aber oft intensiv. Nicht in allen Flugzeugen können Menschen im Rollstuhl zur Toilette gehen. Gerade auf längeren Flügen sind Malheurs keine Seltenheit. Ist keine Begleitperson dabei, übernehmen die Servicekräfte auch das Frischmachen auf der „Toilette für alle“. Damit sich die Gäste auf der Heimfahrt oder Weiterreise wohl fühlen, hat das Serviceteam auch immer Ersatzkleidung parat: eine Jogginghose für die Menschenwürde.

Wenn Barrierefreiheit heißt, dass möglichst alle Menschen alles tun können, was bedeutet das dann für die Kleinsten? Logisch: Einen Wickeltisch gibt’s nicht nur, wie überall, in der Damentoilette, sondern nun auch in der Herrentoilette und der Behindertentoilette – zu finden im neuen Satelliten des Münchner Flughafens.

Barrierefreiheit heißt auch: ein Wickeltisch in der Herrentoilette und der Behindertentoilette.

Barrierefreiheit ist für Marion Linkert ein Prozess mit Zielen, aber ohne Ende. Ständig werden irgendwo am Airport Barrieren geschleift, barrierefreie Angebote ergänzt, verbessert, neuen DIN-Normen angepasst. Der Erfolg: Überall im Gebäude sieht man Menschen mit Mobilitätseinschränkung, die unbehindert vorankommen. „Ein Traumjob“, sagt Marion Linkert und lacht. „Meistens.“

Flughafen für alle: ein Rundgang in Bildern

Johannes Hintersberger und Marion Linkert vor einer interaktiven Infosäule.

Als erster deutscher Airport hat der Flughafen München interaktive Infosäulen aufgestellt. Die Servicekräfte sind auf dem Bildschirm zu sehen und per Mikrofon und Lautsprecher mit den Gästen verbunden. „Das ist gelebte Integration“, hebt PRM-Referentin Marion Linkert hervor: „Die InfoGate-Stelen sind nützlich für alle Fluggäste, ob mit oder ohne Mobilitätseinschränkung.“

Johannes Hintersberger testet eine Infosäule mit Touchscreen.

Die bewährten Infosäulen mit interaktiven Bedienflächen schätzen auch Fluggäste mit Hörbehinderung. Sozialstaatssekretär Johannes Hintersberger zeigte sich nicht nur vom einzelnen guten Beispiel beeindruckt: „Dass man sich am Flughafen München nicht auf Einzelmaßnahmen beschränkt, sondern Barrierefreiheit strategisch angeht – das ist vorbildlich.“

Flughafenhalle mit Infoschalter.

Taktile Bodenleitsysteme helfen blinden Menschen bei der Orientierung. Sie führen zu Aufzügen oder, wie hier, zu den Infoschaltern.

Infoschalter mit Hinweisschild: „Mobility Service“.

Das Schild „Mobility Service“ zeigt an: Hier werden Fluggäste mit eingeschränkter Mobilität beraten und unterstützt.

Barrierefreies Bad: Waschbecken und Toilette.

Vor dem Flug nochmal schnell aufs stille Örtchen? Das ist für Menschen im Rollstuhl besonders wichtig. Denn nicht alle Flugzeuge bieten behindertengerechte Toiletten. Im Bild: Marion Linkert (links), Johannes Hintersberger und Brita Lange, Leiterin des Referats „Bayern barrierefrei“ im Bayerischen Sozialministerium.

Barrierefreies Bad: Duschbereich.

Nach dem Langstreckenflug geht’s gleich weiter, z. B. zu einem Geschäftstermin? In der barrierefreien Dusche, großzügig bemessen und schwellenlos, können sich Fluggäste mit und ohne Behinderung erfrischen. Der Sitz und die Armstütze im Duschbereich werden bei Bedarf heruntergeklappt.

Blick in eine „Toilette für alle“.

Besonders stolz ist Marion Linkert auf die neue „Toilette für alle“ am Flughafen München. Hier können Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen einfach und ungestört frisch gemacht werden. In den Lifter, den Johannes Hintersberger hier testet, wird ein Tragegurt eingehängt. So kann eine Begleitperson den Menschen mit Behinderung sicher und ohne Kraftaufwand auf die Liege heben. Den individuell passenden Gurt bringen die Nutzerinnen und Nutzer mit.

Stuhlreihe mit Kennzeichen „Behindertensitzplatz“.

Barrierefrei verschnaufen: Die gekennzeichneten Stühle sind etwas höher. So können ältere Menschen und Passagiere mit Gehbehinderung sich einfacher setzen und wieder aufstehen.

Elektrocaddy im Flughafengebäude.

Die Nase vorn: Mit Elektrocaddy und Chauffeur kommen Menschen mit Mobilitätseinschränkung barrierefrei ans Ziel.

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Gesucht: Verstärkung für den Mobility Service!

Ein Münchner Rettungsdienst betreibt den Mobility Service am Flughafen München. Weil – u. a. wegen des demografischen Wandels – die Zahl von Fluggästen mit eingeschränkter Mobilität stark steigt, sucht das Unternehmen dringend nach Servicekräften. Die sogenannten Service Agents brauchen v. a. Feingefühl und Flexibilität im Umgang mit anderen Menschen. Auf ihre Aufgaben werden sie in einem Schulungsprogramm vorbereitet.

Mehr erfahren: zum Aicher Mobility Service

Zug & Flug: Infos zum barrierefreien Reisen

Hier finden Sie die Infos zur Barrierefreiheit am Flughafen München:

Flughafen München barrierefrei
Infobroschüre „Barrierefrei unterwegs am Flughafen München“ (PDF)

In unserem Servicebereich haben wir Web-Adressen mit Infos von Flug- und Bahngesellschaften sowie Flughäfen zusammengestellt. Weitere Themen: die internationale Einstufung der Mobilitätsgrade und die Rechte von Fluggästen. Zum Service: Zug und Flug

Glossar

Erklärung der Begriffe

Eingeschränkte Mobilität

Wenn ein Mensch „eingeschränkt mobil“ ist, dann kann er vielleicht nicht oder nicht gut/weit gehen. Vielleicht ist er aber auch sehbehindert oder hörgeschädigt und braucht unterwegs Orientierungshilfen. „Eingeschränkte Mobilität“ ist also ein – bewusst – weit gefasster Begriff. Er trifft nicht nur auf Menschen mit bestimmten Formen von Behinderung zu, sondern auch auf Menschen mit altersbedingten Einschränkungen. Nach der EU-Verordnung Nr. 1107/2006 muss Menschen mit eingeschränkter Mobilität an Flughäfen und an Bord von Flugzeugen (kostenlos) geholfen werden. Fluggesellschaften und Reiseunternehmen dürfen die Flugbuchung bzw. Beförderung aufgrund von Behinderung oder eingeschränkter Mobilität nicht verweigern.